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Steffen Kröhnert
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Tischlermeister mit Soziologiediplom
Reinhard Seurig

© privat: Steffen Kröhnert initiierte die Studie zur Demografieentwicklung in Deutschland
© privat: Steffen Kröhnert initiierte die Studie zur Demografieentwicklung in Deutschland
Als 1989 die Mauer fiel, war Steffen Kröhnert gerade 20 Jahre alt, hatte sein Abitur in der Tasche und den Grundwehrdienst in der DDR hinter sich.

Ein halbes Jahr später begann er in Schleswig-Holstein eine Tischlerlehre: „Ich wollte möglichst schnell weg aus dem Osten und einen ‚soliden’ Beruf erlernen. Vor allem aber wollte ich ein anderes Land, andere Menschen und spannendere Dinge sehen, als die, die ich kannte. Der ‚Westen’ war mir damals mental genau so weit entfernt wie Amerika." Für ein Studium interessierte sich Steffen Kröhnert damals nicht. Doch der „Soziologe" steckte wohl schon immer ein bisschen in ihm. In der Lehre, und auch später während seiner Berufstätigkeit in Köln und in Stuttgart interessierten ihn vor allem die verschiedenen Mentalitäten und die regionale Kultur. „Während meiner Tischlerzeit war ich auch für vier Monate in Südfrankreich – immer auf der Suche nach neuen Menschen und Erfahrungen. Nach meiner ‚braven’ Kindheit in einem gleichgeschalteten Land mussten diese Wanderjahre einfach sein".

Im Alter von 28 Jahren begann Steffen Kröhnert dann sein Studium der Soziologie an der TU Dresden. Nachdem er die letzten Jahre etwas „Nützliches" getan hatte, wollte er nun etwas machen, das ihn wirklich interessierte – und das war die Soziologie. „Das kann ich eigentlich nur mit meinem großen Interesse an Gesellschaft und gesellschaftlichen Zusammenhängen begründen. Mich hat die Formung des Menschen – seines Charakters, seiner Werte, seines Handelns, seiner Emotionen – durch die Gesellschaft und das jeweilige gesellschaftlich-politische System interessiert – die Gesellschaft als emergentes Phänomen sozusagen," begründet Kröhnert seinen Studienwunsch. Nach dem Abschluss des Vordiploms ging Steffen Kröhnert nach Berlin, u.a. weil es im Gegensatz zu Dresden eine Vielzahl sozialwissenschaftlicher Forschungsinstitute gibt.

Gegen Ende des Studiums hatte er das seltene Glück, einen zukunftsweisenden Anruf eines Professors zu bekommen: „Es gibt da ein neues Institut, das ich mit gegründet habe. Noch ist da nicht viel mehr als ein Büro, einen Computer und ein Telefon. Doch die Sache hat Potenzial. Wollen Sie nicht mitmachen?" Kurz entschlossen sagte er zu. Heute ist Steffen Kröhnert Sozialwissenschaftler am „Berlin-Institut für Weltbevölkerung und globale Entwicklung".

Ziel dieses stiftungsfinanzierten Institutes ist es, die Öffentlichkeit für demografische Entwicklungen zu sensibilisieren und so zu einer nachhaltigen Entwicklung der Gesellschaft beizutragen. Über Demografie wurde in Deutschland bis vor ganz kurzer Zeit nicht gesprochen. Von der Diskreditierung während der Nazizeit hat sich die Bevölkerungswissenschaft bis heute nicht richtig erholt. „Kinder kriegen die Leute sowieso" hatte noch Adenauer gesagt. „Demografische Argumente galten bis vor kurzem fast als totalitär, zumindest als politisch nicht korrekt," so Kröhnert. "Erst in jüngster Zeit hat die Krise der Sozialsysteme das geändert. Allerdings gibt es bis heute nur vier (!) Lehrstühle für Demografie in Deutschland, von denen drei z.Z. vakant sind. Die wenigen Demografen, die es gibt, ziehen sich zudem häufig auf formale, mathematische Demografie zurück und meiden den gesellschaftlichen Diskurs. In anderen Ländern (Frankreich, Niederlande, USA) wird sehr viel mehr demografische Forschung betrieben. Das Berlin-Institut wurde 2001 mit Mitteln der amerikanischen Hewlett-Foundation gegründet, mit dem Ziel, die demografische Diskussion in Deutschland zu beleben und explizit demografische Erkenntnisse in die Öffentlichkeit zu tragen."

Steffen Kröhnert gehört zu den Kritikern der gesellschaftlichen Situation in Deutschland. „Am meisten ärgert mich zur Zeit, wie das verkrustete deutsche Bildungs- und Wirtschaftssystem mit seinem akademischen Nachwuchs umgeht. Ich spreche da natürlich vor allem für die Sozialwissenschaftler. Das System bringt die Leute dazu, bis 29 zu studieren und mehrere semesterlange Praktika einzuschieben. Mittlerweile ist das ein richtiger grauer Arbeitsmarkt geworden. Ganze Organisationen leben davon, dass sie sich die Arbeit von Praktikanten unbezahlt machen lassen. Ist das Studium dann endlich beendet, müssen sich die Absolventen von Viertel- zu Halbtagsstellen, von Viertel- zu Halbjahresvertrag wursteln. In anderen Ländern haben die Leute mit 22 ihren Bachelor oder mit 24 ihren Master in der Tasche und verdienen Geld. Dieses Land ist dabei, seine Zukunft zu verspielen."

Vielleicht liegt das Holz des Tischlers gar nicht so weit weg vom „Stoff" des Soziologen. Hier wie da hat das „Material" eine ganz eigene Struktur, ist dennoch formbar, wenn auch nicht unbegrenzt. Und hier wie da besteht das eigentlich Spannende in der Wechselwirkung zwischen dem einzelnen „Teil" und dem Funktionieren des Gebildes, welches aus diesen Teilen entsteht. „Andere tüfteln an Autos oder an Computern – ich interessiere mich eben für die menschlichen Verhaltensweisen. Was ist Moral, Liebe, Emotionalität, was sind Normen, woher kommen sie, wie und warum verändern sie sich? Welche Rolle spielt die Bewertung durch die Gesellschaft für das individuelle Handeln? Werden Menschen durch das soziale Umfeld oder durch die Gene geprägt? Das sind Fragen, die Steffen Kröhnert interessieren. „Ich habe keine direkten politischen Ambitionen, aber ich möchte schon gesellschaftsrelevant tätig sein. Und dazu genügt es nicht, Erkenntnisse in der Schublade zu haben – sie müssen auch öffentlich werden!"