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Campus und Forschung

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Im Mittelpunkt steht das Tier
Dagmar Möbius

Fotos (2): © MPI-CBG Dresden/Christine Panagiotidis; In der Transgenic Core Facility des Max-Planck-Instituts für molekulare Zellbiologie und Genetik Dresden entstehen durch Injektion Mäuse mit gezielten Genveränderungen.
Fotos (2): © MPI-CBG Dresden/Christine Panagiotidis; In der Transgenic Core Facility des Max-Planck-Instituts für molekulare Zellbiologie und Genetik Dresden entstehen durch Injektion Mäuse mit gezielten Genveränderungen.
Es kommt nicht alle Tage vor, dass man als Journalist mit persönlichem Bodyguard zu einer Pressekonferenz gebracht wird. Weil vermeintliche Tierschützer auch mit halb- oder illegalen Methoden auf sich aufmerksam machen und die öffentliche Ordnung stören, war das Sicherheitsaufgebot der 46. Jahrestagung der Gesellschaft für Versuchstierkunde – Society of Laboratory Animal Science (GV-SOLAS) ungewohnt groß. 700 nationale und internationale Teilnehmer, unter ihnen 150 Tierpfleger, beschäftigten sich schwerpunktmäßig mit neuen Mausmodellen und Mausgenetik, Stammzellen und regenerativen Therapien, immunologischen Fragestellungen, Zell- und Gewebetechniken, aber auch Tierhausmanagement.

Doch die in der Gesellschaft organisierten Wissenschaftler arbeiten und tagen nicht im Elfenbeinturm. Sie sind sehr daran interessiert, die Bevölkerung über Tierversuche aufzuklären. „Die Tierversuchskunde ist eine biomedizinische Basiswissenschaft. Im Mittelpunkt steht das Tier“, erklärte GV-SOLAS-Präsident Dr. med. vet. Heinz Brandstetter vom Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried.

Tierversuche zur Krankheitserforschung

Viele medizinisch relevante Fragen konnten durch tierexperimentelle Forschungsprojekte schon gelöst werden. Sehr viele, beispielsweise bei der Alzheimer-Erkrankung, bei Rheuma und Diabetes oder bei der Entwicklung von Biomaterial, sind noch offen. Medizinischer Fortschritt ist ohne Einsatz lebender Versuchstiere nicht möglich, sagen die Forscher. Konnten früher viele Erkenntnisse aus Zellkulturen gewonnen werden, sei die moderne Wissenschaft darauf angewiesen, das Wirken der Zelle im Zellverbund zu beobachten. „Das menschliche Genom unterscheidet sich von dem eines Schimpansen nur um 1,4 Prozent“, sagte Prof. Wieland Huttner, Direktor und Wissenschaftliches Mitglied am Max-Planck-Institut für Zellbiologie und Genetik Dresden. Manche Genfunktionen seien deshalb vom Tier auf den Menschen übertragbar, aber nicht alle.

Es komme darauf an, für jedes Experiment das passende Versuchstier zu wählen. So wurde beobachtet, dass Vitamin C bei Mensch und Meerschweinchen identisch wirkt. „Ohrknöchel-Implantate haben wir an Schafen erprobt, weil solche Experimente am Menschen aus ethischen Gründen nicht erlaubt sind“, zählt Dr. Roland Jung, seit 2003 Leitender Tierarzt des Experimentellen Zentrums der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus der TU Dresden, ein Beispiel auf. Für zwei Drittel aller heute bekannten Krankheiten gibt es bisher noch keine befriedigende Therapie oder gar Heilung. Deshalb dienen 53 Prozent alle Tierversuche der Erforschung menschlicher Krankheiten, vor allem Infektionskrankheiten, Herz-Kreislauf-Krankheiten, Krebs und Erkrankungen des Nervensystems.

Zweieinhalb Millionen Versuchstiere werden jährlich in Deutschland zu wissenschaftlichen Zwecken eingesetzt. Vor etwa 30 Jahren benötigte allein die Arzneimittelforschung doppelt so viele Tiere. 2006 wurden für wissenschaftliche Zwecke 567.569 Wirbeltiere getötet. Deren Organe oder Gewebe wurden anschließend wissenschaftlich genutzt, um belastende Tierversuche zu ersetzen. Heute sind über 80 Prozent der Versuchstiere Nager wie Mäuse und Ratten. Knapp zehn Prozent sind Fische. Immer weniger große Wirbeltiere wie Hunde, Katzen oder Affen werden verwendet.

Am MPI-CBG wird untersucht, wie sich Zellen zu Geweben organisieren. Gearbeitet wird an Modellorganismen wie dem Fadenwurm, dem Zebrafisch, der Fruchtfliege (im Bild das Lager mit Fliegenlarven) oder der Maus.
Am MPI-CBG wird untersucht, wie sich Zellen zu Geweben organisieren. Gearbeitet wird an Modellorganismen wie dem Fadenwurm, dem Zebrafisch, der Fruchtfliege (im Bild das Lager mit Fliegenlarven) oder der Maus.
Wissen schützt Tiere


Jeder tierexperimentell Forschende muss verantwortungsvoll zwischen der zu erwartenden Belastung des Tieres und dem voraussichtlichen Nutzen für Mensch, Tier oder Umwelt abwägen. Nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft sind Tierversuche trotz vermehrt eingesetzter Alternativmethoden unverzichtbar. Allerdings schreibt der Gesetzgeber vor, dass sie auf ein unvermeidbares Maß zu beschränken sind und nur gestattet sind, wenn sie für einen im Tierschutzgesetz aufgeführten Versuchszweck unerlässlich und angesichts der erhofften Ergebnisse ethisch vertretbar sind.

Tierschutz ist seit wenigen Jahren sogar im Grundgesetz verankert. Das deutsche Tierschutzgesetz gilt als eines der strengsten der Welt. Deutschland leistet zudem den größten Beitrag aller EU-Mitgliedsstaaten für die Entwicklung tierversuchsfreier Prüfmethoden, betont das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Die Zentralstelle zur Erfassung und Bewertung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden im Tierversuch (ZEBET) erfasst nicht nur solche bereits veröffentlichten Verfahren, sondern evaluiert sie auch. Vier Millionen Euro stellte übrigens das Bundesministerium für Bildung und Forschung für den Förderschwerpunkt „Ersatzmethoden zum Tierversuch“ bereit.

Mit seriösen Tierschutzorganisationen, Kirchenvereinigungen, Ethikkommissionen und weiteren Interessierten ist die Gesellschaft für Versuchstierkunde kontinuierlich im Austausch. Nicht gesprächsbereite Gruppierungen, die Tiere beispielsweise mit spektakulären Aktionen zu befreien versuchen, sorgen mitunter für Schlagzeilen und erforderten auch während der Dresdner Tagung erhöhte Sicherheitsvorkehrungen. Die Information, dass Tierversuche zur Entwicklung von Kosmetika, Waschmitteln oder Tabakerzeugnissen in Deutschland verboten sind, erreichte sie leider nicht.