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Absolventenporträts

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Montag bis Freitag Ingenieur, am Wochenende auf der Bühne
Dagmar Möbius

Diplom-Ingenieur Sven Rüger kennt sich im Maschinenbau und in der Häusersanierung aus. Doch er macht auch als Pfarrer, „Präsident des Staatsraths“ oder als Sänger eine gute Figur.

© Alexander Hildebrandt, HO-Theater; Sven Rüger als „Präsident des Staatsraths“ in der H.O.-Theater-Inszenierung „Leonce und Lena“
© Alexander Hildebrandt, HO-Theater; Sven Rüger als „Präsident des Staatsraths“ in der H.O.-Theater-Inszenierung „Leonce und Lena“
„Wenn ich heute noch einmal studieren könnte, würde ich mich wahrscheinlich für etwas Brotloses entscheiden“, schmunzelt der gebürtige Schmiedeberger Sven Rüger. In Literatur und Geschichte hatte er in der Schule immer eine Eins. 1986 begann er, nach dreijähriger Armeezeit, sein Studium für Verarbeitungs- und Verfahrenstechnik an der TU Dresden: „Nicht unbedingt mein Traum, aber es wurde mir empfohlen, weil es vielfältig sei.“ Die ersten zwei Jahre empfand er als sehr theorielastig. Später eignete er sich Kenntnisse über Maschinenbau, mechanische Verfahren wie Stoffe filtrieren, Destillieren, Staubabscheidung oder Luftreinigung an. Sein Ingenieurpraktikum fiel in die Wendezeit: „Es war fast die einzige Möglichkeit, um Prozesse erfassen zu lernen, sich einzuarbeiten und sich eine gewisse Systematik anzueignen. Ansonsten arbeiteten wir bis auf einen Studentenaustausch mit der Hochschule in Prag und einige Betriebsbesichtigungen wie bei Elbflorenz nie in der Praxis“, bedauert Sven Rüger.

In der Regelstudienzeit von viereinhalb Jahren diplomierte er. Danach stieg er artfremd ins Berufsleben ein: bei einem Wirtschaftsprüfungsunternehmen in Frankfurt am Main. „Ich hatte meine betriebswirtschaftliche Phase“, lacht er, „ich dachte, Unternehmensberatung sei wichtig und angebracht.“ Doch es war nicht das Richtige für ihn: „Ich bin kein Zahlenknecht.“ Nach zwei Jahren entschied sich der heute 45-Jährige, in den Ingenieursberuf zurückzukehren. Bis 1993 arbeitete er in einem Projektierungsbüro für Tiefbau und Abwasserbehandlung in Dresden. Als er wegen ausbleibender Aufträge entlassen werden musste, orientierte er sich neu und bildete sich zum Projektant für Haustechnik weiter. Anschließend arbeitete er in der Häusersanierung der WOBA, kümmerte sich um Heizungen, Sanitärstränge und Fernwärme. 1997 herrschte wieder Auftragsflaute. Die zweite Entlassung folgte.

© privat
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War es Glück oder Zufall, dass Sven Rüger ein Jahr zuvor zum Theater kam? Er hatte einen Volkshochschulkurs für Darstellendes Spiel besucht, den eine ehemalige Klassenkameradin leitete. Schon in der Schulzeit und während der Armee liebte er das Theater. Daran gedacht, selbst zu spielen, hatte er nie. Und doch: „Aus Interesse am Theater und am Theaterspielen blieb ich dabei und trat der Dresdner Theatergruppe Spielbrett bei.“ Seine erste Rolle spielte er in einem satirischen Stück. Als im Jahr 2000 das H.O.-Theater einen Schauspieler suchte, ergriff der Hobby-Mime die Chance und verkörperte im „Besuch der alten Dame“ einen Pfarrer. Später den „Präsident des Staatsraths“ in „Leonce und Lena“ von Georg Büchner. Manchmal besetzte er in einem Stück drei Rollen, oft skurrile. „Bei Rudolf Donath habe ich sehr viel gelernt“, lobt er, „aber anfangs habe ich viel Lehrgeld zahlen müssen.“ Besonders die gruppendynamischen Prozesse seien manchmal nicht einfach gewesen.

Hauptberuflich wechselten sich Zeitarbeit und Festanstellungen im Maschinenbau und in der Kfz-Technologie ab. Bis heute. Nachhaltig beeindruckte Sven Rüger die Arbeit in Hamburg von 2005 bis 2006. Im Moment arbeitet er für ein regionales Haustechnik-Unternehmen an einem Projekt in Hessen. Montags bis freitags kümmert er sich um die Planung von Heizung, Kühlung und Klimatisierung eines Bürokomplexes.

Am Wochenende steht er zu Proben oder ein oder zwei Auftritten auf der Bühne. Weil die berufliche Laufbahn so vielen Schwankungen unterliegt, ist das Theater für den Wahldresdner zu einer Konstante geworden. Dem H.O.-Theater ist er bis heute treu. Seit über zehn Jahren nimmt er privaten Gesangsunterricht. „Nein, nein, nicht für die große Karriere, vor allem für Sprech- und Atemtraining“, wiegelt er ab. Vielleicht untertreibt er da sogar, denn im März tritt er auch als Sänger auf die Bühne. Mit dem Gesangsstudio Melosine ist er mit dem Programm „Aus Klassik, Film und Musical“ im Dresdner Kabarett Breschke und Schuch zu erleben. Vollzeitschauspieler zu sein, kann sich Sven Rüger vorstellen. Irgendwann. Bis dahin will er noch viel von Profis lernen. „Ich will mein eigenes machen“, sagt er selbstbewusst. „Spielen, Lesungen.“ Die Freie Szene hat es ihm angetan. Dazu steht der Ingenieur.

Viele seiner ehemaligen Kommilitonen wissen von seiner Theaterleidenschaft. Die meisten von ihnen sind heute nicht mehr in dem Fachgebiet tätig, das sie studiert haben. „Es gibt zu wenig Jobs in der Branche und es ist wohl der Trend“, vermutet Sven Rüger. Auf der Bühne kompensiert er viele Unwägbarkeiten des Alltags. „Wir spielen die Neurosen der anderen“, schmunzelt er. „Nicht unsere eigenen, auch wenn wir unsere Persönlichkeit einsetzen.“