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„Mein Vater war schlauer als ich"
Rosa Hauch

Foto: Universitätsarchiv: Prof. Heinz Jungnickel, Vorreiter der Kältetechnik an der TUD
Foto: Universitätsarchiv: Prof. Heinz Jungnickel, Vorreiter der Kältetechnik an der TUD
Professor Dr. Heinz Jungnickel hat die Entwicklung der Kältetechnik maßgeblich beeinflusst. Der 1914 geborene Wissenschaftler, Lehrer, Praktiker und Familienvater  – dies ist nur eine Aufzählung, keine Wichtung – blickt auf sein Leben zurück und stellt mehrfach fest: „Mein Vater war schlauer als ich. Er hat mir zur Internatsschule geraten, das hat sich bewährt. Er hat meine Berufswahl beeinflusst, dafür bin ich ihm heute dankbar und er hat hin und wieder meine Sturheit gebremst, mit Erfolg."

Kälte ist relativ – eine solche Assoziation muss erlaubt sein, wenn seit nunmehr 50 Jahren ein bedeutender Physiker und Kältetechniker gemeinsam mit seiner Frau ausgerechnet in der Einsteinstraße wohnt. Ein schöner, zufälliger Lebensumstand, der durchaus Parallelen rechtfertigt. Prof. Jungnickel beschreibt sich selbst als frech und vorlaut. „Deshalb hing ich oft bei den Lehrern ... und später beim Arbeitsdienst." Das er „hing" beschreibt die Tatsache, bei jemandem unten durch zu sein; in der Schule, weil er dem Mathelehrer Rechenfehler nachwies und dafür der Klasse verwiesen wurde, beim Arbeitsdienst, weil er der Fairness halber für alle die gleichen Nahrungsmittelrationen forderte und später in der DDR hatte er ,parteilos', als verantwortlicher Leiter enorme Schwierigkeiten, weil er das wirtschaftliche Absurdistan der Planwirtschaft kritisierte. Aus frech und vorlaut wurde scharfsinnig, weitsichtig, kritisch und korrekt, was sowohl dem Wissenschaftler und Lehrer Jungnickel als auch dem Praktiker und Chefkonstrukteur das Leben auf keinen Fall leichter machte. Da es völlig unmöglich ist, in den folgenden Zeilen auch nur den Anschein der Vollständigkeit über das Wirken Prof. Jungnickels zu erwecken, gibt es die von ihm selbst verfasste Biografie „Mein Leben" im Universitätsarchiv.

Vom Lehrbeauftragten zum Ordinarius
Alte Freunde – neuer Auftrag: Im Leben begegnet man sich immer zweimal. Diese Erfahrung hat Prof. Jungnickel des öfteren im positiven erlebt wie im negativen erleiden müssen. Ein gutes Beispiel ist sein Werdegang zum Dozenten. Weil ein alter Schulfreund aus der Landesschule seine Adresse weitergab, konnten die Studenten der damaligen Fakultät Maschinenbau aufatmen, weil sie nun feststellen konnten, dass sie den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik verstanden. Noch heute beschäftigt den emeritierten Professor seine damalige Unzulänglichkeit, nicht gleich zu Beginn seiner Lehrtätigkeit das gesamte Gebiet der Kältetechnik beherrscht zu haben. Heute weiß er, „das geht jedem so, der aus der Praxis kommt. Ein Praktiker hat ein begrenztes Spezialgebiet, auf dem er sehr gut ist. Das andere muss er sich anlesen und anlernen." Gesagt, getan. Das war 1950. Begonnen hat alles mit dem Vortrag „Die Technik der Luftzerlegung" vor dem Fachkolloquium. Ein Jahr später genossen die Studenten auf eigenen Wunsch das Doppelte der ursprünglich vorgesehenen Vorlesungen und Übungen. Übrigens, die Lichtbilder zur Ergänzung der Vorträge hat sein Vater hergestellt und sie sind noch lange Jahre im Fundus des Lehrstuhls aufbewahrt worden. Sein Vater war es auch, der ihm damals zugeraten hat, den Auftrag anzunehmen und die unangenehme Vorgeschichte nicht der Fakultät anzulasten. Die unangenehme Vorgeschichte beschreibt Prof. Jungnickel ausführlich in seinem Lebensbild. Eine gewisse Frau Dr. Dyck war Diener dreier Herren im Ministerium, von Kaiser Wilhelm bis Selbmann und so wie sie ihren Mantel immer in den Wind drehte, taten das viele Zeitgenossen Prof. Jungnickels. Wenn er sich an die vielen Wirkungsstätten erinnert, wird deutlich, dass für ihn Leistung zählte und nicht wie für viele andere das richtige Parteibuch. Er hat diesbezüglich keine Kompromisse gemacht und steht im Grunde auch heute noch dazu. „Nein, ich würde bestimmt nichts anders machen in meinem Leben, nur mache ich mir schon Vorwürfe, weil meine Kinder Schwierigkeiten hatten, nicht bei der Studienwahl, aber später im Beruf. Meine Tochter hat die Schikanen nicht überlebt. Daran trage ich schwer." Weitere wichtige Stationen an der Dresdner Bildungsanstalt und späteren TU waren: 1954 die Ernennung zum Professor. Sie öffnete Prof. Jungnickel nach eigener Einschätzung auch viele Türen in der Industrie 1958 wurde Prof. Jungnickel zum Ordinarius für Kältetechnik berufen. 1968 übernahm er die Leitung der neu gegründeten Sektion „Energieumwandlung". Es folgten vier anstrengende Jahre bezogen auf die durch ihn in dieser Funktion zu klärenden disziplinaren Probleme. Im Lebenswerk wörtlich: "Ich war froh, dass ich diese Last ablegen konnte."

Praktiker und Nicht-Genosse
Am Anfang war der Sauerstoff: Wer sich nur ein wenig mit der DDR-Geschichte beschäftigt hat, wird ahnen können, welchen Schwierigkeiten sich Prof. Jungnickel gegenübersah. „Begonnen hat alles mit der Lehnmühle", sagt Prof. Jungnickel heute. „Ich wollte Sauerstoff herstellen und als promovierter Physiker hatte ich die Genehmigung dazu bekommen." Der Vater nahm ihm damals die Behördengänge in der Stadt ab und der Jungunternehmer plagte sich mit dem Handschlitten ab, Material vom Pöbeltal in das Weißeritztal zu transportieren. Am 1. April 1945 produzierte die Lehnmühle den ersten Sauerstoff und belieferte darauf hin immer mehr Betriebe, u.a. den VEB Kunstseidewerk Siegfried Rädel. Für dieses Werk konzipierte Prof. Jungnickel später eine eigene Sauerstoffanlage. Der Betrieb hatte Erfolg, baute für die Bergakademie Freiberg, für das Motorenwerk Dessau, für Simson Suhl und lieferte eine Äthylenverflüssigungsanlage nach Ungarn. All diese Erfahrungen sollten knapp fünf Jahre später den Studenten der Fakultät Maschinenbau zugute kommen. Prof. Jungnickel arbeitete als Gutachter und Fachberater für die RGW-Kommission Maschinenbau. Er beschreibt in seiner Biografie, wie intensiv die Bemühungen waren, ihn für den Eintritt in die SED zu begeistern. Da er sich weigerte, stand er permanent unter Beobachtung, sah sich Bespitzelungen und Anfeindungen, incl. übler Nachrede ausgesetzt.

Studieren – aber was?
Auf die Frage, was denn das richtige Studienfach heute sei, gibt es nur eine Antwort von Professor Jungnickel: „Am besten studiert ihr das, wovon euch alle abraten, aber auf keinen Fall das Fach, wozu man euch rät. In den kommenden drei bis vier Jahren kann Maschinenbau noch Zukunft haben, danach die Kombinationen, die den Grenzbereich zwischen Maschinenbau, Biologie, Chemie und Physik ausfüllen; und Patentanwälte sind sehr wichtig und gute sind selten."

Denkfähigkeit honorieren
„Mit Bewertungen muss man sehr vorsichtig umgehen. Ich selbst habe immer Denkfähigkeit honoriert, nicht reines Faktenwissen", so Prof. Jungnickel. „Es ist wichtig, dass angehende Wissenschaftler in der Materie denken können. Problematisch finde ich das Ranking der Dozenten durch die Studenten. Ich habe erlebt, dass einige dazu neigen, populistisch zu reagieren und darunter leidet die Qualität der Lehrveranstaltungen."

Fazit
„Auch in wirtschaftlich schweren Zeiten rate ich, mutig zu sein."