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Dr. Thilo Becker

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„Unpopulär, aber sozial gerechter“ – ausgezeichnete TUD-Promotion
Dagmar Möbius

Die ingenieurwissenschaftliche Dissertation von Dr. Thilo Becker wurde im Juni 2017 in Berlin mit dem zum ersten Mal verliehenen „BUND-Forschungspreis" gewürdigt. Sie hat viel mit Gesundheit zu tun.

© H. Goehler; Jahrelang  forschte Dr. Thilo Becker zu Luftschadstoffen
© H. Goehler; Jahrelang forschte Dr. Thilo Becker zu Luftschadstoffen
Ungefähr sechs Jahre arbeitete Thilo Becker an seiner Doktorarbeit. Anfang 2016 schloss er die an der Professur für Verkehrsökologie der TU Dresden und von Professor Udo Becker betreute Arbeit zum Thema „Sozialräumliche Verteilung von verkehrsbedingtem Lärm und Luftschadstoffen am Beispiel Berlins“ ab. Die mit einem Stipendium der Heinrich-Böll-Stiftung geförderte Promotion war Bestandteil des interdisziplinären Graduiertenkollegs „DIKE - Kostenwahrheit im Verkehr“.

„Insgesamt fünf Doktorarbeiten wurden aus Perspektive verschiedener Fachrichtungen bearbeitet, wobei der Teamgedanke ganz entscheidend war“, berichtet der 34-Jährige und lobt: „Ohne unsere gegenseitige Unterstützung wäre ich sicherlich noch nicht fertig.“ Deshalb unterstützt er seine Kolleginnen bei deren noch nicht ganz fertigen Promotionen.

Kaum bekannt: Verkehrssystem kann zu sozialer Ungleichheit führen
„Die wenigen früheren Studien zum Thema hatten meist kleine Stichproben und befragten die Menschen zu ihrem Sozialstatus und der gefühlten Lärm- oder Luftschadstoffbelastung“, erklärt Dr. Thilo Becker. Er untersuchte deshalb, wie stark verschiedene sozio-ökonomische Gruppen durch Umweltwirkungen des Verkehrs belastet sind und verknüpfte erstmals objektive Umweltdaten, ökonomische Bewertungen und die Sozialstatistik einer deutschen Großstadt. Konkret: „Ich habe auf modellierte Belastungsdaten für das gesamte Stadtgebiet aufgebaut und somit ganz Berlin analysiert.“ Warum Berlin? Zum einen konnte das Statistische Landesamt Berlin-Brandenburg extrem kleinräumig strukturierte Sozialdaten zur Verfügung stellen. „Ich kannte für jeden Straßenabschnitt den Anteil der Hartz-IV-Empfänger und den Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund. Solche Daten hat nach meinem Kenntnisstand keine andere Stadt in Deutschland“, so der Preisträger. „Zum anderen lief bei der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt ein eigenes Forschungsprojekt zu Umweltgerechtigkeit, in das ich mich einklinken konnte. Diese fachliche Beratung und Diskussion war ein ganz entscheidender Erfolgsfaktor. Ich finde es bemerkenswert, dass eine Stadtverwaltung über mehrere Wahlperioden so ein innovatives, aber politisch manchmal umstrittenes Thema konsequent weiterverfolgt.“

Ergebnisse befürworten Verkehrswende
Die flächendeckende Auswertung für Berlin zeigte, dass ein niedriger sozialer Status mit einer höheren Belastung durch verkehrsbedingten Lärm und Luftschadstoffe einhergeht. Betrachtet man externe Kosten durch Luftschadstoffe von jährlich 1,9 Milliarden Euro, zeigte sich, dass Straßenabschnitte mit hoher Migrationsquote 2,8-fach stärker belastet sind als solche mit niedriger Migrationsquote. Bei Straßenlärm mit jährlich 130 Millionen Euro externen Kosten liegt der Faktor zwischen niedriger und hoher Migrationsquote bei 3,4. „Alle Ergebnisse sind hoch signifikant und korrelieren. Zudem können sozial schwache Menschen kaum vor der Belastung ausweichen“, sagt

Dr. Thilo Becker und leitet Hausaufgaben für Politik und Verwaltung aller staatlichen Ebenen ab:

  • zunehmende Umweltbelastung von sozio-ökonomisch benachteiligten Bevölkerungsgruppen vermeiden
     
  • bereits bestehendes Belastungsniveau senken, damit mehr Menschen in einer gesundheitsförderlichen Umgebung leben können
     
  • Maßnahmen priorisieren, bei denen sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen berücksichtigt werden

Dr. Thilo Becker plädiert für eine Verkehrswende mit teils unpopulären Maßnahmen. Dafür sieht das Umweltbundesamt Maßnahmen wie höhere Parkgebühren und Energiesteuern, fahrstreckenabhängige Maut, Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit und verbindliche Abgasstandards als wichtig an. Diese Maßnahmen müssten zwingend in eine Gesamtstrategie mit spürbaren Verbesserungen beim Fuß-, Rad- und öffentlichen Verkehr verknüpft werden. Der Verkehrsplaner ist überzeugt: „Wird der Autoverkehr reduziert, wird auch die Gesellschaft sozial gerechter.“ Denn: Weniger Belastungen durch Lärm und Luftschadstoffe helfen besonders sozial schwachen Gruppen. Dass solche Thesen in Deutschland nicht mit breiter gesellschaftlicher und politischer Unterstützung rechnen können, weiß er. Industrie und Gewerkschaften argumentieren, höhere Umweltstandards und deren tatsächliche Einhaltung würden aufgrund höherer Kosten den „kleinen Leuten“ schaden. Er entgegnet: „In Wirklichkeit sind dies aber genau die Gruppen, die überproportional durch Lärm und Luftschadstoffe belastet werden. Aus anderen Untersuchungen wissen wir, dass Personen mit niedrigem sozio-ökonomischen Status viel weniger zum Autoverkehr und den dadurch verursachten Umweltwirkungen beitragen.“

© GA; 2. Platz beim Dr.-Hut-Wettbewerb der TUD-Graduiertenakademie in Kooperation mit der SLUB.
© GA; 2. Platz beim Dr.-Hut-Wettbewerb der TUD-Graduiertenakademie in Kooperation mit der SLUB.
Arbeit open access veröffentlicht

Seine Dissertation und eine Zusammenfassung der Arbeit hat Dr. Thilo Becker open access veröffentlicht. „Das war selbstverständlich für mich, denn ich wurde während der Bearbeitungszeit durch unterschiedliche öffentliche Mittel finanziell unterstützt. Die Öffentlichkeit hat somit aus meiner Sicht ein Recht an den Ergebnissen.“


Zur Person
Von 2003 bis 2009 studierte Thilo Becker Verkehrsingenieurwesen mit den Schwerpunkten Verkehrsplanung und Verkehrstechnik an der TU Dresden. Zwischenzeitlich absolvierte er ein Master-Studium für Transportsysteme an der KTH in Stockholm. Zudem kann er auf mehrere berufliche Auslandsaufenthalte, unter anderem in Kenia und Russland, verweisen. Von 2009 bis 2017 war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Verkehrsökologie der TU Dresden in zahlreiche Forschungsprojekte involviert, unter anderem zu Radverkehrsplanung, Lärm- und Luftschadstoffen, stationsunabhängigem Car-Sharing und Energieeffizienz im Verkehr.

Als Referatsleiter Strategische Verkehrsplanung in Bremen ist er seit Mai 2017 für die Umsetzung des Verkehrsentwicklungsplans zuständig. „Aktuell planen wir beispielsweise eine 40 Kilometer lange Fahrradpremiumroute quer durch die Stadt, wir bereiten Projekte zu Elektromobilität und autonomem Fahren vor und sind in die Beschaffung von neuen Straßenbahnfahrzeugen involviert.“