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Universitätsklinikum Dresden
Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen und Ohrenheilkunde
Funktionsbereich Allergologie/Rhinologie
Dr. med. B. Hauswald
Tel.: + 49 351 458 4430

Bettina.Hauswald@uniklinikum-dresden.de

Campus und Forschung

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Innovative Heuschnupfen-Therapie prämiert
Dagmar Möbius

In Zeiten der Schweinegrippe über Heuschnupfen zu schreiben, scheint nicht up-to-date. Doch die Allergiker-Patientenzahlen steigen ständig. Dass nach Expertenansicht derzeit nur jeder zehnte Betroffene ursächlich behandelt wird, sei nicht nur inakzeptabel, sondern auch unnötig.

© MMI-Verlag; Dr. med. Bettina Hauswald leidenschaftliche Allergologin und HNO-Oberärztin am Universitätsklinikum Dresden
© MMI-Verlag; Dr. med. Bettina Hauswald leidenschaftliche Allergologin und HNO-Oberärztin am Universitätsklinikum Dresden
Zwischen 20 und 25 Prozent der Weltbevölkerung soll nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation WHO unter allergischen Atemwegsbeschwerden, Rhinitis und/oder Asthma leiden, in Europa sogar rund 30 Prozent. Die seit 1991 in mehr als 100 Ländern laufende ISAAC-Studie (The International Study of Asthma and Allergies in Childhood) rechnet damit, dass 2020 sogar jeder Zweite von Allergien betroffen sein wird.

„Warum Allergien heute ein Massenphänomen sind, liegt relativ im Dunkeln“, sagte der in Medizinerkreisen als „Allergiepabst“ geltende Berliner Professor Torsten Zuberbier kürzlich in Dresden. „Allergiker haben ein besseres Immunsystem, nur eine Sache ging bei ihnen schief", erklärte er, „die innere Polizei greift sich versehentlich Unschuldige, stuft sie als gefährlich ein und bekämpft sie.“ Fakt ist, dass sich die Allergiehäufigkeit in den letzten drei Jahrzehnten verdreifacht hat. Demnach gebe es kaum ein medizinisches Fachgebiet, das sich nicht mit Allergien befassen müsse. Umso unverständlicher ist der hohe Grad an nicht adäquat versorgten Patienten. „50 Prozent der Betroffenen wissen gar nicht, dass sie eine Allergie haben, weitere 25 Prozent gehen nicht zum Arzt und von den restlichen wird nur jeder Zehnte kausal behandelt“, konstatiert Dr. med. Bettina Hauswald, seit 27 Jahren leidenschaftliche Allergologin und HNO-Oberärztin am Universitätsklinikum Dresden.

Allergien sind keine Bagatellen, warnen Ärzte. Auch die Deutsche Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie schätzt, dass nur zehn Prozent der Patienten mit Atemwegsallergien korrekt behandelt werden, obwohl bekannt ist, dass etwa 40 Prozent der nichttherapierten Heuschnupfen-Patienten innerhalb von acht Jahren ein allergisches Asthma entwickeln. Abgesehen vom persönlichen Leidensdruck ist auch der volkswirtschaftliche Schaden immens. 30 000 Jugendliche brechen jedes Jahr ihre Ausbildung wegen einer allergischen Erkrankung ab. Die Kosten für allergiebedingte Behandlungskosten und Arbeitsfälle liegen europaweit zwischen 50 und 100 Milliarden Euro jährlich.

Die einzige Therapieform, die die immunologische Ursache der Allergie angeht und den natürlichen Verlauf der Krankheit verändern kann, ist für die WHO die so genannte Desensibilisierung. Die wird von vielen Patienten mit einer mehrjährigen Spritzentherapie in Verbindung gebracht. Möglicherweise fanden sich deshalb viele Allergiepatienten bisher mit ihrem Schicksal ab. „Heuschnupfen-Patienten passen sich oft an und haben Angst vor Medikamenten“, bestätigt Charité-Professor Zuberbier. Die mit konstanter Regelmäßigkeit in den Medien nachzulesenden Frühlings-Tipps für Heuschnupfen-Geplagte empfehlen, die Fenster schließen und im Haus zu bleiben. Viel lebensnäher und nötiger sei es, die Menschen über moderne Therapiemöglichkeiten aufzuklären.

© Der Kassenarzt-Innovationspreis 2009
© Der Kassenarzt-Innovationspreis 2009
„Doch vor die Diagnose hat der liebe Gott die Anamnese gestellt“, schmunzelt Dr. Bettina Hauswald. Das heißt, es muss eindeutig geklärt werden, ob und gegen was man allergisch ist. Idealerweise sollte das ein Allergologe übernehmen.

Seit einem Jahr ist ein Medikament in Tablettenform auf dem deutschen Markt, das die ungeliebte Heuschnupfen-Desensibilisierung mit Spritzen möglicherweise bald ganz ablösen könnte. Die so genannte Grastablette ist, da sind sich die medizinischen Experten einig, eine Innovation, die ihren Namen verdient hat. Sie enthält eine Mischung der fünf häufigsten Grasallergene: Deutsches Weidelgras, Wiesen-Rispengras, Wiesenlieschgras, gewöhnliches Knäuelgras und gewöhnliches Ruchgras. Entwickelt und auf den Markt gebracht wurde Oralair® vom europäischen Biopharmaunternehmen Stallergènes, das sich auf Desensibilisierungstherapien zur Vorbeugung und Behandlung allergischer Atemwegserkrankungen spezialisiert hat und 18 Prozent seines Umsatzes in die Forschung und Entwicklung neuartiger Therapien investiert. Die umgangssprachlich als Grastablette bezeichnete Immuntherapie wurde kürzlich in Dresden sogar mit dem Innovationspreis 2009 des Fachmagazins „Der Kassenarzt“ prämiert. Die Begründung: hoch wirksam, exakt dosiert, sicher, einfach zu nehmen, schnell lieferbar und sogar für Kinder ab fünf Jahre zugelassen. Einer der wesentlichsten Vorteile ist, dass anders als bei der bisher gängigen Spritzenbehandlung nicht erst im Herbst, also nach der Pollensaison, sondern sofort nach der bestätigten Diagnose begonnen werden kann.

„Mund auf, Zunge hoch, Tablette unter die Zunge legen, zwei Minuten warten, fertig“, führte Dr. Bettina Hauswald die Einnahme vor. Sie hat inzwischen 250 Patienten auf das neue Medikament eingestellt, an wissenschaftlichen Studien mitgearbeitet und ist begeistert: „Wir verzeichnen einen Symptomrückgang von 40 Prozent und mussten bisher keinerlei ernstliche Nebenwirkungen registrieren.“ Bestehen keine Kontraindikationen, halte sie es sogar für einen Kunstfehler, wenn einem Heuschnupfen-Betroffenen die neue Therapie nicht angeboten werde. Die Handhabung gegenüber der Spritzenbehandlung sei vergleichsweise einfach. Dennoch habe der Arzt bei der Erstverordnung die Verantwortung und dürfe beispielsweise die vorgeschriebene 30-minütige Kontrollwartezeit nicht an eine Schwester delegieren, betonte sie. Läuft nach der Einstellungsphase alles gut, könne der Hausarzt die Weiterverordnung und -betreuung übernehmen.

Auch von anderen Allergien betroffene Patienten dürfen hoffen: Der Markteintritt für Immuntherapien gegen Milben und Ambrosia ist in absehbarer Zeit zu erwarten.