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Lesererzählungen

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Festrede zum 50-jährigen Jubiläum
Prof. em. Wolfgang Fritzsch

Wir waren von den Geburtsjahrgängen her ein breit gefächertes Semester. Einige Ältere kamen mit Notabitur und aus der Kriegsgefangenschaft, andere über den zweiten Bildungsweg der Volkshochschule oder der Arbeiter- und Bauernfakultät, weitere über das Normalabitur mit anschließender Praxistätigkeit.

Wir alle waren durch die Kriegsereignisse noch geprägt, hatten wir doch auch die Folgen des Luftangriffs auf Dresden ständig vor Augen. Der Hörsaal, in dem wir heute sitzen, hatte anfangs noch ein provisorisches Dach und wir saßen auf Hockern roter Farbe und schrieben auf den Knien. Aber alle waren wir bemüht, mit einer soliden Ausbildung zielstrebig eine eigene Karriere zu planen und dem Leben wieder Sinn zu geben. Das Problem einer Regelstudienzeitüberschreitung kannten wir nicht. Wir waren froh und glücklich, möglichst rasch einen akademischen Grad zu erreichen. Vielfach entwickelten sich gute Bekanntschaften und Freundschaften bis heute, die vertieft wurden durch Problemdiskussionen z.B. beim Abendessen auf Lebensmittelkarte in der Mensa.

Ich erinnere mich u.a. an eine Diskussion um den Gebrauch der Logarithmentafel. „Na, die Logarithmen hat man doch im Kopf“, sagte einer aus einem höheren Semester. Die Probefrage: „Was ist dann der Logarithmus von tan 23 Grad?“
Ein Bierdeckel half. 0,42 war die Antwort. Wir waren verblüfft. Er hatte tatsächlich einzelne Stützwerte der Sinusfunktion im Kopf, interpolierte und rechnete auf Tangens um.
Wir konnten das Ergebnis erst später mit einer Tafel nachprüfen, Rechenschieber waren Mangelware (sie kamen als Oma-Geschenk aus dem Westen, insbesondere das System „Darmstadt“). Wer kennt heute von unseren Studenten noch Logarithmentafel und Rechenschieber?

Man traf sich nicht nur zur ernsthaften Arbeit im Hörsaal und zum Praktikum. Italienisches Dörfchen, Kaskade, Luisenhof und manche andere Schänke waren Treffpunkte ernsthafter und nicht gewichtiger oder auch zukunftsprägender Begegnungen. Uns allen ist der Abschlussball am 17. Juni 1955, man beachte das Datum, auf dem Luisenhof noch in Erinnerung. Glossen und Episoden waren dokumentiert in unserer Festzeitung „Oszillograph“, eine weitere originäre Leistung nach unserem „Bierathron“ zur letzten Vorlesung bei Dr. Max Wengner. Unser Fest verlief harmonisch und fröhlich. Waren wir doch behütet von einem uns unbekannten Zivilisten an der Tür, der – vielleicht auch im dienstlichen Auftrag am 17. Juni – sich nicht fotografieren ließ und eine wohl gemeinte Einladung mit uns zu feiern, freundlich ablehnte.

Alle unsere Hochschullehrer und auch (Hilfs-)Assistenten hinterließen bei uns mehr oder weniger bleibende Erinnerungen. Viele Episoden ließen sich erzählen.

Die Motorisierung in den fünfziger Jahren war spärlich. N. J. Lehmann (Mathematik V) kam mit einem schweren Motorrad. Peter Budig parkte seinen PKW im Görgesbau. Aber ein Fahrrad war für die meisten ein gefragtes Verkehrsmittel.

Wer vergisst in diesem Zusammenhang, unter großem Beifall einer versammelten Menge, das im Lichthof am Kranhaken hängende Fahrrad des frischgebackenen Dr. Lunze, der nach seiner erfolgreichen Promotion nach Hause wollte? Er löste es aus.

Ich diplomierte bei Prof. Binder über stromrichtergesteuerte Antriebe. Ich verklebte durch einen gezielten Stromstoß unlösbar die Relaiskontakte der Anlage. Ein Erdungsfehler. Ich ahnte Schlimmes. Aber der damalige Dr. Lappe gab mir lediglich eine Adresse, wo man neue Relais beziehen konnte und deutete vielsagend auf einen Lötkolben. Die Arbeit ging weiter.

Über Episoden mit meinem Freund Peter-Klaus Budig möchte ich schweigen, sie würden den Rahmen sprengen.