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Lesererzählungen

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Umzug nach der letzten Vorlesung der Fakultät Maschinenwesen 1958
Gottfried Rabe

Foto: privat
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Ich habe von 1953 bis 1969 in Dresden studiert. Im Frühjahr 1958 hatten wir die letzte Vorlesung und so ein freudiges Ereignis wurde mit einem kleinen Marsch durch Dresden gefeiert. Die ganze Fakultät Maschinenbau mit über 100 Studenten, zum Teil kostümiert mit Frack und Zylinder, marschierte von der Hochschule über den Postplatz. Dort gab es damals neben der Annenkirche noch eine Gaststätte namens „Mühle“, in der wir einkehrten. Am Nachmittag sind wir in die „Kaskade“ gezogen und am Elbufer haben wir den Tag beendet und den Morgen begrüßt. Wir hatten uns an diesem Tag von den Professoren verabschiedet und waren vom Alltag etwas abgehoben. Deswegen ist uns auch völlig entgangen, dass gerade an diesem Tag der Staat eine große Aktion durchführte, nämlich die Aufhebung der Lebensmittelrationierung. In der Presse wurde bekannt gegeben, was von nun an zum Beispiel ein Stück Butter und die anderen Produkte kosten würden. Vorher konnte man markenfrei ja nur nach HO-Preisen kaufen. Die waren anfangs deutlich höher, wurden dann schrittweise gesenkt – und nun fand man zwischen dem Preis, den die bis dahin rationierte Ware kostete, und den HO-Preisen so ein Zwischending, das allgemein bezahlbar war. Mit der Abschaffung der Lebensmittelmarken erhöhten sich also die Lebensmittelpreise ein bisschen. Wir hatten davon überhaupt nicht mitbekommen und sind mit unseren Losungen durch die Stadt gezogen. Da hieß es zum Beispiel:

Foto: privat
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* Jede Mark ein Beitrag gegen den Erbfeind Durst!
* Dresdner Frauen atmet auf, wir ziehen ab im Dauerlauf!
* Willst du verdienen dein Geld recht schwer, dann musst du werden Diplom-Ingenieur!
* Wer zu früh aufsteht, wird bald müde!
* Wer noch keine 4 gefangen, hat nach keiner Frau Verlangen!
* Zehn Semester Mensa und trotzdem noch impotent!
* Oft gestolpert aber nie gefallen!
* Dreimal Boiedont am Tag, schützt den grauen Zahnbelag! (Boie war unser Professor – u.a.
Ascheprobleme)
* Saufen sollen alle, sterben aber keiner!

All solche studentischen Losungen, die sehr gesellig und noch tragbar waren.
Wir hatten aber auch noch eine andere Losung „Haltet die Preise – keiner soll hungern!“, da das Mensa-Essen zu dieser Zeit von 60 Pfennig auf 70 Pfennig erhöht wurde. Zu dieser Zeit aber hatte die DDR die Lebensmittelrationierung (Lebensmittelkarten) aufgehoben. In diesem Zusammenhang sind einige Lebensmittel etwas teurer geworden. Diese Aktion haben wir in unserem „Trubel“ überhaupt nicht zur Kenntnis nehmen können. Die Losung war aber auf die Mensa bezogen und nicht auf die Abschaffung der Lebensmittelmarken. Wir hatten also unseren Spaß und den nächsten Tag mussten wir zum Parteisekretariat und zum Dekan der Fakultät, die „Spaßvorlesung“ in der Mensa hatte ein politisches Nachspiel. Es wurde uns unterstellt, dass diese Losung vom „Klassenfeind“ eingeschleust worden sei und somit verbreitet werden konnte. Man wollte wissen, wer diese eine Losung erdacht und geschrieben hatte und wer sie an die Massen bringen wollte. Wir wussten gar nicht, was los war. Sie wollten eine Person ausfindig machen, die gegen die Staatsmaßnahmen vorgehen und uns Studenten dazu benutzen wollte. Das ging noch längere Zeit. Da waren dann besonders die Seminargruppensekretäre, die FDJ-Sekretäre und die Mitglieder der Partei gefordert. Unser Professor Dr. Boie, der uns betreute, sagte: „Wie konntet ihr das tun! Das hat es noch nie gegeben, dass man die Regierung kritisiert! Hättet ihr doch lieber uns Professoren kritisiert.“ Zum Glück löste sich aber dann alles auf. Einer von uns Studenten haute nach West-Berlin an die Freie Universität ab – und da atmeten sie alle auf: Ja, das war der Übeltäter! Und dann waren alle zufrieden.