Absolventenporträts | |
Zuerst fühlte ich mich wie auf einem anderen Planeten |
Markant sind María Teresas forsche Stimme und ihr gutes Deutsch. Von 1982 bis 1987 studierte sie an der Technischen Universität an der Sektion Energieumwandlung – eine Zeit, an die sich die energische Frau mit den wachen Augen gern erinnert. Heute managt sie ein Wärmekraftwerk im Norden Nicaraguas. Sie lebt mit ihrem Mann und ihrer 11-jährigen Tochter in der Hauptstadt Managua. Die Freude darüber, jemanden aus Dresden vor sich sitzen zu haben, steht ihr während unseres langen Gesprächs im Gesicht geschrieben.
Welche Erinnerungen hast du an deine Dresdner Zeit?
Die besten meines Lebens. Für mich ist Dresden eine der schönsten Städte der Welt. Ich bin sehr stolz darauf, an der TU Dresden studiert zu haben. Ich war so jung, als ich dorthin kam, diese Jahre haben mich sehr geprägt. In den 80er-Jahren studierten in der DDR viele Nicaraguaner. Ich gehörte zu den ersten, mit einer Gruppe von 36 Leuten kam ich am 19. September 1980 an. Wir waren drei Frauen, der Rest Männer. Mit gerade 18 Jahren war ich die Jüngste. Eine der Frauen flog schon im November nach Hause zurück. Sie hat die ganze Zeit geweint und ist nur immer im Zimmer geblieben. Es war für sie sehr kalt.
Und deine ersten Eindrücke?
Auch ich habe ich mich zuerst wie auf einem anderen Planeten gefühlt! Andere Leute, andere Kultur, andere Sprache ... Meine Familie fehlte mir. Am Anfang konnte ich nicht mal ein Brot kaufen! Das war sehr schwer. Zunächst habe ich anderthalb Jahre in Wismar Deutsch gelernt. Unser Kurs war vom Herderinstitut so gut geplant, dass wir gleich zu Beginn die wichtigsten Wörter gelernt haben, um zu überleben. Schon im Dezember – nach nur drei Monaten – konnte ich ganz gut sprechen. Wie Tarzan! Jeden Tag nach dem Kurs bin ich in die Stadt gegangen, um meine neuen Wörter auszuprobieren.
Wie viele Stunden Deutsch hattet ihr pro Tag?
Von um sieben bis um drei. Drei Monate haben wir nur Deutsch gelernt, nachher kamen die anderen Fächer dazu: Mathematik, Physik ... Für Spanisch-Muttersprachler ist Deutsch nicht einfach. Aber um studieren zu können fehlten uns auch Kenntnisse in Mathematik, den Naturwissenschaften und im Technischen Zeichnen. Es gab einen speziellen Intensivkurs für uns, die wir technische Studienrichtungen belegen sollten.
So kamst du dann bestens vorbereitet an die TU Dresden ...
Ja. Meine Seminargruppe hieß 82/12/01. Ich habe Technische Thermodynamik und Strömungsmechanik an der Sektion Energieumwandlung studiert. Mein Studium war sehr schwer. Nach den Vorlesungen und Seminaren bin ich immer zur Bibliothek gegangen. Wir fanden dort alle notwendigen Bücher und es war sogar garantiert, dass es für jeden Studenten ein Exemplar gab! Mich hat auch sehr beeindruckt, dass jeder alles ausleihen durfte. Oft habe ich mit meinen deutschen Kommilitonen studiert. Ich erinnere mich besonders an einen guten Kollegen aus Radebeul, er hat mir sehr geholfen.
Und in der Freizeit?
... war ich die Vertreterin aller lateinamerikanischen Studenten in Dresden. Wir haben thematische Abende organisiert, um unsere Länder vorzustellen, jedes Land war mal dran. Wir hatten einen eigenen lateinamerikanischen Club. Gewohnt habe ich im Wohnheim in der Wundtstraße 3. Bei uns haben ständig Nicaraguaner, die in anderen Städten eine Ausbildung machten, übernachtet. Alle Welt wollte nach Dresden kommen, weil es doch die beste Stadt in der DDR war! Und ich musste ihre Übernachtung in unserem Wohnheim organisieren. Selbst von unserer Botschaft schickte man mir Leute, damit wir ihnen die Stadt zeigen. Die schliefen immer im Hotel „Newa“ in der Prager Straße, gibt‘s die noch?
Na klar. Hattet ihr auch Kontakte zur Dresdner Bevölkerung?
Weißt du, damals war unser Land sehr bekannt. Viele Leute haben uns nicaraguanische Studenten in der Uni aufgesucht, um unser Land zu unterstützen. Menschen aus verschiedenen Einrichtungen in Dresden, auch aus Schulen, die etwas für Nicaragua spenden wollten: Geld für ein Waisenhaus, Geld für Motorräder für das Rote Kreuz oder für die Polizei ... Alles Mögliche, sogar einen ganzen Krankenwagen. Wir haben diese Leute mit unserer Botschaft in Verbindung gebracht, wir waren so eine Art Anlaufpunkt und Kontakt. Es gab damals sehr viel Hilfe aus Dresden für Nicaragua, wenn irgendwo eine Solidaritätsveranstaltung durchgeführt werden sollte, wurden wir angerufen.
1987 hast du dein Studium beendet und bist nach Nicaragua zurückgekehrt ...
Ja. Hier habe ich sofort Arbeit gesucht. Ich ging zum Energieministerium und bekam einen Arbeitsplatz in einem Wärmekraftwerk etwa 90 Kilometer von Managua entfernt. Mit dem Bus bin ich dann jeden Tag dahin und zurück gefahren. Nach zwei Jahren konnte ich in ein Wärmekraftwerk in Managua wechseln, dort blieb ich bis 1999, seitdem arbeite ich als Maintenance-Manager in einem anderen Kraftwerk der Firma AEIENERGY, es befindet sich im Norden Nicaraguas, in der Hafenstadt Corinto. In meiner neuen Firma wird meine Arbeit geschätzt, ich fühle mich wohl, ich habe als Leiterin einer Abteilung angefangen und inzwischen bin ich die Stellvertreterin des Kraftwerksdirektors. Es ist wieder ein Wärmekraftwerk, die Generatoren werden mit Dieselmaschinen betrieben. Das sind vier MAN-Dieselmotoren aus Augsburg, insgesamt produzieren wir 70 Megawatt.
Hast du den Eindruck, dass dir das, was du bei deinem Studium in Dresden an Wissen erworben hast, nützt?
Klar. Ich bin Ingenieurin, ich wurde gut ausgebildet. Alles, was ich in Dresden studiert habe, kann ich hier in meinem Beruf anwenden. Manchmal benutze ich noch meine Hefte, meine Bücher von damals. Ich bin allerdings eine der wenigen Nicaraguaner, die nach ihrer Rückkehr Arbeit in ihrem Beruf finden konnten. Ich habe Glück, dass ich einen praktischen Beruf habe, den man hier braucht.
Hast du noch Kontakte nach Dresden?
Aller drei Monate bekomme ich das Absolventenmagazin der TU – per E-Mail. Bis heute habe ich auch Kontakt zu ein paar ehemaligen Kommilitonen, 2007 haben sie mich zu einem Treffen anlässlich unseres 20-jährigen Studienabschlusses eingeladen. Aber ich hatte leider kein Geld, dahin zu fliegen. Aber dienstlich reise ich ab und zu nach Deutschland, dann rufe ich ein paar von meinen Freunden dort an und sie kommen zu mir, egal, wie weit der Weg ist, oder sie laden mich zu sich ein.
María Teresa, alles Gute für dich und deine Familie und herzlichen Dank für das Gespräch!