Lesererzählungen | |
Unsere Professoren |
© Wolfgang Schöffel
Wenn ich an meine Studienzeit an der früheren TH Dresden denke, erinnere ich mich gern an meinen Lehrer, dem ich meine Physikkenntnisse zu verdanken habe. Wer Physik lernen wollte und Wert auf eine gründliche Ausbildung in diesem Fach legte, war bei ihm an der richtigen Adresse. Es war Herr Professor Dr. Recknagel, gleichermaßen bekannt und gefürchtet in Prüfungen und Praktika. Wenn er erschien, herrschte eine bemerkenswerte Stille im Raum, und jeder wünschte sich, von seinen oft verfänglichen Fragen verschont zu bleiben. Außer einem scharfen Sinn verfügte er über ausgezeichnete pädagogische Fähigkeiten und wusste genau, wo und bei wem er den Bohrer ansetzen musste. Über seine Person gibt es zahlreiche Prüfungsepisoden, über die man noch heute bei der älteren Generation herzlich lacht.
Dazu schrieb Hans-Jochen Keneder, ebenfalls Absolvent, ins Gästebuch der TUD:
Als ich 1953 das Studium an der TH Dresden, Fakultät für Ingenieurökonomie, aufnahm, hatte ich auch das „Vergnügen“, an den Vorlesungen von Prof. Recknagel teilzunehmen. Er stellte damals in der Vorlesung folgende Frage:
Sie haben hier eine Stoppuhr und ein Thermometer. Wie können Sie damit die Höhe eines Hauses feststellen? – Schweigen! –
Antwort: Sie steigen auf das Dach, lassen das Thermometer fallen und messen mit der Stoppuhr die Fallzeit und bestimmen aus der Fallgeschwindigkeit die Höhe des Hauses. Ich war froh, die schriftliche Prüfung in Physik, die für das weitere Studium erforderlich war, erfolgreich bestanden zu haben.
Wer die Gelegenheit hatte, Herrn Professor Recknagel näher kennen zu lernen, merkte sehr bald, dass sich hinter seinem scheinbar abweisenden Wesen und seiner Strenge gegenüber uns Studenten ein Mensch mit großem Gerechtigkeitsempfinden und mit viel Verständnis gegenüber der Jugend verbarg. Es ist zu bedauern, dass das Physikalische Institut am Zelleschen Weg, an dessen Bau und Einrichtung er sehr große Verdienste hat, nicht seinen Namen trägt.
Prof. A. Simon I
Prof. A. Simon brachte mir anorganische Chemie bei. In der Vorlesung wird das Prinzip von Le Chatelier und Braun, auch bekannt unter dem Namen „Prinzip vom kleinsten Zwang“, gesprochen, der Professor, eine vom Gewicht her stattliche Erscheinung, und sein Vorlesungsassistent, Dr. Adam, ein schlanker, sportlicher Typ. Das obige Prinzip sagt aus, dass ein im Gleichgewicht befindliches System jedem äußeren Zwang ausweicht.
Als Beispiel wurde ein Schlittschuhläufer betrachtet, der über das Eis gleitet. Der Professor: „Sehen Sie, meine Damen und Herren, nicht das Eis ist für die Fortbewegung des Läufers maßgebend, sondern der sich in Abhängigkeit von der Körpermasse des Eisläufers unter den Kufen bildende Wasserfilm. Ich würde viel schneller über das Eis gleiten als zum Beispiel Herr Dr. Adam“. Mit Beifall und einer Lachsalve wurde die Vorlesung beendet.
Prof. A. Simon II
© Dr. Volkhard Landrock
Dieser Versuch war gefährlich, denn die Kugel explodierte beim Auftauen des Eises wie eine Granate. Herr Israel war von Beruf Schmied und verfügte über große körperliche Kräfte, die auch für das feste Verschließen der mit Wasser gefüllten Eisenkugel notwendig waren. Einmal versuchte Vorlesungsassistent Dr. Adam, diese Handlung selbst durchzuführen. Professor Simon beobachtete ihn dabei, sah den ausbleibenden Erfolg und sagte dann: „Herr Adam, lassen Sie das mal den Israel machen, der hat mehr Kraft als Sie, der ist Hufschmied gewesen.“
Professor Boëtius I
In seiner Vorlesung behandelte Professor Boëtius die „Grignard-Reaktion“. Das ist die Umsetzung eines halogenhaltigen Kohlenwasserstoffes mit Magnesiumspänen unter bestimmten Bedingungen. Der Ansatz wurde kurz vor Ende der Vorlesungsstunde vorbereitet, aber die Reaktion verläuft am Anfang häufig sehr langsam, im weiteren Verlauf aber auch oft sehr stürmisch. Der Professor: „Meine Damen und Herren, leider reicht die Zeit nicht mehr aus, um den Beginn der Reaktion zu beobachten, morgen werden wir sehen, dass sie stattgefunden hat“. Am nächsten Tag befand sich im Kolben der Apparatur eine schmutziggraue Flüssigkeit, ein Beweis dafür, dass sich das „Grignard-Reagenz“ gebildet hatte. Der Professor schob die Sonnenbrille auf die Stirn, sah sich den Inhalt des Kolbens an und sagte mit Begeisterung: „Die Reaktion hat stattgefunden, Sie sehen es an der grauen Brühe, die fast die gleiche Farbe hat wie manchmal Ihr Mensaessen.“
Professor Boëtius II
Wir befinden uns in der Prüfungsperiode im Juni 1957. An einem heißen Sommertag sitzt unsere Gruppe im Arbeitszimmer von Prof. Dr. Boëtius zur Abschlussprüfung. Die Wärme im Raum und das grelle Licht der Sonne machen uns Prüflingen zu schaffen, aber noch weit mehr dem Professor. Durch sein jahrzehntelanges Arbeiten mit der organischen Mikroanalyse wurden seine Augen so geschwächt, dass er immer eine Sonnenbrille tragen musste. Um das Zimmer etwas abzudunkeln, bat er den Prüfungsbeisitzer, die Jalousie herabzulassen. Der Assistent ging an das Fenster und zog am Strick, aber nichts passierte. Ein nochmaliger etwas kräftigerer Ruck führte dazu, dass dieser riss, die Führungsschiene aus dem Mauerwerk gehoben wurde und die Schindeln mit allem Zubehör und einem nicht alltäglich wahrnehmbaren Geräusch im Institutsvorgarten aufschlugen. Der Professor sprang auf, öffnete das Fenster und brüllte so laut er konnte: „So ein Bockmist!“ auf die Mommsenstraße. Dieses Wort gebrauchte er nur in höchster Erregung. Wir waren etwas besorgt, dass sich seine momentane Verstimmung auf den Ausgang der Prüfung und im Besonderen auf unsere Noten auswirken würde, aber das Gegenteil war der Fall. Die restliche Prüfungszeit wurde dazu benutzt, um über wirtschaftliche Engpässe und Unzulänglichkeiten in der Wirtschaft zu sprechen. Unserer Prüfungsnoten brauchten wir uns am Ende nicht zu schämen.
Professor Schwabe I
© Archiv TUD
Bei Aufräumarbeiten auf dem Dachboden des Instituts hatte ein Diplomand einen alten und noch dazu defekten Schreibtischsessel entdeckt, mit dem er seinen Sitzkomfort zu verbessern glaubte. Bei der regelmäßigen Inspektion seiner Diplomanden und Doktoranden sah der Professor den Sessel, und dies gab Anlass zu folgendem Dialog:
„Na, Herr W. wo haben Sie denn den komfortablen Sessel her?“
Darauf die Antwort: „Den habe ich auf dem Institutsboden gefunden und wieder in Ordnung gebracht.“
Nun wieder Professor Schwabe: „Herr W., ich habe damals sowohl meine Diplomarbeit als auch meine Promotion auf einer Margarinekiste sitzend erledigt und Sie sehen, es hat mir nicht geschadet.“
Ergebnis des Dialoges: Ohne Umwege landete der Sessel wieder auf dem Dachboden des Erich-Müller-Baues.
Professor Schwabe II
Professor Schwabe, wurde der Entwurf einer Diplomarbeit zur Korrektur vorgelegt. Der Diplomand, der es mit der Sauberkeit nicht genau nahm, „verschönerte“ den Inhalt durch mehrere Fettflecke. Die Korrektur des Professors wurde durch folgenden Kommentar ergänzt: „Reinschrift kann erfolgen, ich freue mich, dass Ihre Fettversorgung gesichert ist, kann mich aber nicht daran erinnern, in Ihrer Diplomarbeit dafür den Beweis verlangt zu haben.“
Professor Schwabe III
An dem folgenden Ereignis waren beteiligt:
1. Herr Professor Dr. Schwabe
2. Herr Dr. G. F.
3. Herr Dr. J. B. mit Spitznamen „Pudding“.
(Wie er zu diesem Namen „Pudding“ gekommen ist, weiß ich nicht, denn er war ein aktiver Sportler.)
Professor Schwabe bediente sich, wenn er nicht gerade schlechte Laune hatte, einer leisen und nuschelnden Aussprache, weshalb er auch „Der Muff“ genannt wurde. Dr. J. B.konnte diese Eigenschaft von Prof. Schwabe, besonders am Telefon, täuschend nachahmen.
Bei Dr. G. F. läutet eines Tages das Telefon, am anderen Ende wieder diese undeutliche Stimme: „Hier ist Schwabe, Herr F. kommen Sie doch bitte mal sofort mit Ihren Messergebnissen zu mir.“
Der Angerufene, der schon einmal auf diesen Spaß hereingefallen ist, ruft triumphierend zurück: „Pudding, halt nur Deine Gusche, ich weiß schon, daß Du's bist!“
Darauf der Professor: „Sie irren Herr F., hier ist wirklich der Schwabe und nicht der ‚Pudding‘. Kommen Sie bitte.“
Inzwischen hatte Professor Schwabe den Damen im Sekretariat über den Inhalt des Telefongespräches berichtet, von denen Dr. F. mit großem Hallo empfangen wurde. Da Professor Schwabe besonders für geistreiche Späße immer ein offenes Ohr hatte, erfuhren das auch bald alle Mitarbeiter im Erich-Müller-Bau.