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Lesererzählungen

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Dresden Revisited
János Brenner

© Dresden heute inspirierte J. Brenner zu dieser Skizze.
© Dresden heute inspirierte J. Brenner zu dieser Skizze.
Am 29. September 2006 war ich zu einem Studienjahrgangsfest anlässlich unseres dreißigsten Diplomjubiläums nach Dresden eingeladen. Engagierte Kommilitoninnen haben die Feier im Studentenklub „Bärenzwinger“ vorbereitet und ich nahm einen Tag Urlaub, um mich vorher in der Stadt umzusehen. Seit Ende August 1976, als wir unsere Diplome verliehen bekommen hatten, war ich zwar oft in Dresden (wenn auch mit einer langjährigen Pause zwischen 1979 und 1990), aber dennoch blieben bei meinen Gängen durch die Stadt einige Viertel ausgespart, die wir zu Studentenzeiten frequentiert hatten. Seinerzeit waren wir häufig in Kneipen sowohl der Inneren, als auch der Äußeren Neustadt – da die Innere fest als Beute in der Hand der Schickeria ist, war ich diesmal auf die Äußere Neustadt gespannt. Diese war damals eher übel beleumdet – auch der „real existierende Sozialismus“ hatte seine Milieuinseln. Es gab damals in der Alaunstraße eine Kneipe, die „Konzertklause“, in der vorzugsweise Elbschiffer, schwere Jungs und (so sie der scharfen Kontrolle in der Kaserne entkamen) russische Besatzungssoldaten verkehrten. Ich kann mich noch dunkel erinnern, dass ein Kommilitone mit einem Russen um den Kauf eines Schäferhundes feilschte, den der Russe – weiß der Teufel, woher – mitgebracht hatte. Nach gewissen Mühen kam die Transaktion dann zustande, und am nächsten Morgen rief mich Jürgen (so hieß der glückliche Käufer) an, um sich zu erkundigen, ob ich wüsste, wie denn so ein Köter in seine Bude gekommen sei? Da ich die Kneipe etwas früher und etwas nüchterner verlassen hatte, konnte ich ihn aufklären. Ich weiß allerdings nicht mehr, wie er den Hund wieder losgeworden ist.

Heute ist es fast vergessen, aber die Äußere Neustadt war schon zu DDR-Zeiten Gegenstand von Bemühungen um die städtebauliche Sanierung. Die manchmal unberechenbaren Schwankungen der kommunistischen Städtebaupolitik eröffneten neben dem industriellen Massenwohnungsbau manche Nischen. Im Falle Dresdens mag auch die unausgesprochene Erwägung eine Rolle gespielt haben, dass nach der Zerstörung des historischen Stadtkerns der Stellenwert der Gründerzeitgebiete deutlich zugenommen hat. Jedenfalls wurde in einigen Häuserblöcken an der Förstereistraße und an der Jordanstraße unter der Leitung von Professor Bernhard Klemm (TU Dresden) der Versuch unternommen, durch Blockentkernung und durch teilindustrialisierte Modernisierung der Blockrandbebauung eine deutliche Verbesserung der Situation herbeizuführen.

Ich ging also die Alaunstraße entlang, versuchte wiederzuerkennen, wo die besagte Kneipe wohl gelegen haben mag, konnte das Haus aber nicht mehr genau identifizieren. Ich schnüffelte in die Treppenhäuser, sah in unsanierten Häusern noch die ausgetretenen Sandsteinstufen. Insgesamt macht das Viertel insofern den Eindruck erfreulichen Gleichgewichts, als dass neben den schickeria-aufgemotzten Künstlerhöfen durchaus schrille Kneipen zu sehen sind, und das Publikum ist gemischt: Punks und Studenten neben sich selbst erkennbar für wichtig haltenden Rechtsanwälten und Werbeleuten, auf jeden Fall mit viel Leben auf der Straße. Am spannendsten war vielleicht immer noch der Straßenzug Rothenburger und Görlitzer Straße, mit dem ganz leichten Versatz an der Kreuzung mit der Böhmischen Straße, im Straßenprofil so eng, dass die Straßenbahn hier wie eh und je eingleisig fährt. Zu meiner Studentenzeit wies das Viertel schon unverkennbare Spuren des langsamen baulichen Verfalls auf – bröckelnde, verrußte Fassaden und von überall her wehte der unverkennbare Rauch der verfeuerten Braunkohle. Das Hotel „Rothenburger Hof“ hat die Zeitenwende überlebt – ich kann mich noch an den leicht rauchvergilbten Gardinen von damals in den Erdgeschossfenstern erinnern. Man konnte ungeachtet aller sozialistischen Parolen damals spüren, dass hier noch die Sozialgeografie der Vorkriegsstadt galt und dies eben keine „Adresse“ war. Einige Straßenzüge weiter wohnten Freunde meiner Eltern in einer Gründerzeitvilla, umgeben von einem großzügigen, fast parkartigen Garten. Ungefähr zur gleichen Zeit gab es allerdings die ersten, halblegalen Haus-Instand-Besetzungen in anderen Stadtteilen, teilweise gefördert durch Mitarbeiter der Denkmalpflege.

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