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Lesererzählungen

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Ausschluss aus der FDJ-Gruppe
Dr. Günther Herrmann

Nachfolgendes Flugblatt wurde 1953 im Praktikumssaal für Qualitative Analyse verteilt. Es spiegelt die offizielle Sprache von Regierung, Medien und politischen Vertretern in der damaligen Zeit wider und bietet mit seiner schablonenhaften Argumentation ein sinnfälliges Beispiel für die politisch-ideologischen Spannungen und Auseinandersetzungen im Studienalltag, von den einen als Klassenkampf sendungsbewusst forciert und gefeiert, von den anderen mit tiefer Bedrückung und mancher Gewissensnot ertragen.


Die Mitglieder der FDJ-Gruppe 4/II. Studienjahr der Fakultät Mathematik Naturwissenschaften/Chemie der TH Dresden beschließen, die Jugendfreundin S. aus folgenden Gründen aus der FDJ auszuschließen; gleichzeitig diesen Beschluss dem Prorektorat für Studentenangelegenheiten zuzuleiten, damit dieses die entsprechenden Maßnahmen über die weitere Studientätigkeit beschließt:

S. stammt aus bürgerlichen Kreisen. Ihr Vater wurde 1946 von den staatlichen Sicherheitsorganen verhaftet. Sie selbst übte an der Oberschule keine gesellschaftlichen Funktionen aus, jedoch trat sie vor dem Abitur der FDJ bei. Dieser Eintritt in die FDJ stand im krassen Widerspruch zu ihrer politischen Einstellung, die sie durch Verbreitung von Riasmeldungen bewies. Diese Doppelzüngelei kennzeichnet sie als Karrieristin, welcher kein Mittel zu schlecht ist, wenn es darum geht, einen persönlichen Vorteil zu erringen. Dies bedeutete für sie, das Studium mit der großzügigen Unterstützung unseres Staates durchführen zu können. Ihr ganz niederträchtiges Verhalten tritt dabei besonders zum Vorschein, wenn sie gegen die Arbeiterklasse, die durch ihre aufopferungsvolle Arbeit S. die Durchführung eines hochqualifizierten Studiums ermöglicht, und ihre Politik mit Riaslügen hetzte: so äußerte sie zu einem Mitglied der SED: „Eben sang man die Parodie auf das nicht zustande gekommene Ost-West-Gespräch Adenauer – Grotewohl. Aber Du bist ja gut volksdemokratisch, Du hörst Dir solche oppositionelle Sendungen nicht an.“ Oder: „Mach bitte das Abzeichen (gemeint ist das Parteiabzeichen) unter den Jackenaufschlag, ich lieb nämlich nicht solches Blech.“

An der Hochschule wurde sie sofort aktives Mitglied der illegalen Organisation „Studenten-Gemeinde“. Auf der anderen Seite war sie gesellschaftlich nicht tätig, nahm aber sogar am Parteilehrjahr teil. In ihren Diskussionen in kleineren Kreisen hetzte sie aber weiterhin gegen unseren Staat und die Arbeiterklasse. Im gesellschaftlichen Grundstudium wartete sie dagegen mit auswendig gelernten Phrasen auf, denen sie noch zuweilen Redundanzen unterschob. Beispielsweise schrieb sie in einer Klausur: Sie schreibt von unseren Aufgaben und sagt dann: „Deswegen Aufklärung der Massen, um dann, wenn die revolutionäre Krise eingetreten ist, das ganze Volk zu Verbündeten zu haben, um gewaltsam die Einigung durchführen zu können.“ Diese „gewaltsame Einigung“ von der Seite der DDR ist es ja gerade, was Rias unserer Politik unterschieben möchte. Außerdem stand S. durch die Studentengemeinde in Verbindung mit Westdeutschland.

All das zeigt, dass S. neben offener Hetze systematische Doppelzüngelei betreibt. Weiterhin ist es bezeichnend, dass sie von der illegalen Organisation Studenten-Gemeinde einen Geldbetrag von 200,- DM erhielt, den sie im Stipendienantrag nicht angegeben hat. Aus der Praxis wissen wir, dass man von unseren staatsfeindlichen illegalen Organisationen kein Geld ohne besonderen Verdienst verteilt. S. gibt an, dass sie ihre Meinung bereits seit Anfang dieses Semesters geändert hat. Jedoch versuchte sie sich auch in diesem Semester weiter um jede klare Stellung zu drücken.

Wir stehen auf dem Standpunkt, dass keinem jungen Menschen der Weg in die Zukunft abgeschnitten werden soll. Unsere berechtigte Forderung ist aber die, dass dann diejenigen ihre volle Kraft für die Wiedergutmachung ihrer Fehler einsetzen müssen. Dies müssen sie durch die Tat bewiesen haben. Wir verlangen, dass jeder offen und ehrlich auftritt und die Arbeit unseres Volkes beim Aufbau des Sozialismus voll und ganz unterstützt. Der Ausschluss aus unserer stolzen Organisation ist die schwerste Verbandsstrafe, die wir aussprechen. Sie ist ernste Mahnung und Hilfe zugleich, die S. den Weg zeigt, dass es nur noch zwei Möglichkeiten gibt:

Noch mehr in die Netze des Klassenfeindes zu geraten oder sich das Vertrauen der Werktätigen durch ihre Arbeit zurückzugewinnen. Die FDJ-Gruppe bittet das Prorektorat, S. einen Platz in der chemischen Großindustrie zu vermitteln, damit ihr die Möglichkeit gegeben wird, sich durch ihre Arbeit und gesellschaftliche Tätigkeit das Vertrauen der Werktätigen zurückzugewinnen.

Dresden, 27. April 1953