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Campus und Forschung

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Rekonstruktion der ersten Milchschokolade gelungen
Susann Mayer

© H. Goehler (3); Die rekonstruierte Milchschokolade enthält wie das Original von 1839, hergestellt von Jordan & Timaeus, nur Kakao, Zucker und Milch.
© H. Goehler (3); Die rekonstruierte Milchschokolade enthält wie das Original von 1839, hergestellt von Jordan & Timaeus, nur Kakao, Zucker und Milch.
Chocolade mit Eselsmilch präpariert, ohne Gewürz, sowohl zum Kochen in 5/5 Tafeln pr. Pfd, als auch zum Rohessen in 24 Täfelchen pr. Pfd., haben wir anfertigen lassen und verkaufen solche à 1 Thaler pr. Pfd.

Dresden, am 22. Mai 1839
Jordan & Timaeus


So warb die „Dresdner Schokoladenfabrik Jordan & Timaeus" vor 172 Jahren durch Anzeigen für eine Weltpremiere – die erste Milchschokolade überhaupt. In einem Hinterhof der Dresdner Neustadt begann der süße Siegeszug. Vor dieser Erfindung galt die Trinkschokolade als eine Köstlichkeit, die jedoch vor allem Frauen begeisterte. Erst im Zuge des 19. Jahrhunderts, als das Militär sie als Stärkungsmittel für seine Soldaten entdeckte, begannen auch Männer, von dem kakaohaltigen Produkt zu kosten.

Eine Sensation war der Fund der Anzeige aus dem Jahre 1839. Der Dresdner Wissenschaftler-Verein WIMAD, der seit 1998 zur sächsischen Schokoladenindustrie forscht, hat diese Annonce kürzlich in einem Geschichtsbuch von 1916 entdeckt. Damit ist bewiesen, dass die erste Milchschokolade 1839 von Jordan & Timaeus entwickelt wurde – und somit 30 Jahre vor dem Schweizer Daniel Peter, der oft fälschlicherweise als der Erfinder gilt.

Der aus Hasserode stammende Kaufmann Gottfried Heinrich Christoph Jordan gründete 1823 mit seinem aus Hannover zugewanderten Teilhaber August Friedrich Christian Timaeus die Zichorienfabrik (später Schokoladenfabrik) „Jordan & Timaeus" in Dresden, sie befand sich auf einem Areal westlich der oberen Alaunstraße. Dort wurden zunächst Kaffee-Ersatzprodukte hergestellt. Die Anschaffung einer ersten Dampfmaschine Ende der 1830er-Jahre ersetzte das Zermahlen der Kakaobohnen von Hand und war die verfahrenstechnische Voraussetzung für die Schokoladenfabrikation – die Verarbeitung gelang effektiv und preiswert. Es ist anzunehmen, dass dadurch feiner vermahlen werden konnte und sich die Schokoladenmasse entscheidend besser gießen ließ, in jede beliebige Form. Schon wenige Jahre später arbeiteten hier 200 Angestellte, das Unternehmen war das größte Dresdens. Bereits 1854 expandierte das Werk nach Böhmen.

In der Timaeusvilla, Alaunstraße, wohnte der Fabrikant selbst; die Schokoladenfabrik existiert heute nicht mehr.
In der Timaeusvilla, Alaunstraße, wohnte der Fabrikant selbst; die Schokoladenfabrik existiert heute nicht mehr.
„Natürlich weicht diese Schokolade von 1839 von der heutigen ab. Sie konnte beispielsweise keinen so zarten Schmelz aufweisen, hatte eine gröbere Struktur. Die damalige Technologie steckte einfach noch in den Kinderschuhen", so Dr. Yvonne Schneider vom Institut für Lebensmittel- und Bioverfahrenstechnik. Die Schokolade ist eher körnig, man muss ein bisschen kauen. Sie schmeckt etwas herber, als man es von Milchschokolade gewohnt ist, und etwas dunkler ist sie auch.

Der etwas bröseligen Süßigkeit ist eine Bachelorarbeit der Berufspädagogik-Studentin Miranda Benner vorausgegangen, die Lebensmittel-, Ernährungs- und Hauswirtschaftswissenschaft studiert. Sie trat im Frühjahr 2011 auf die Lebenmitteltechniker zu und bat um Unterstützung bei der Arbeit zum Thema „Schokoladentechnologie im Wandel der Zeit". Sie wurde möglich, da zeitgleich der WIMAD dem TUD-Institut vorschlug, eine Rekonstruktion der ersten Milchschokolade zu versuchen. Arbeitsumfang, Bearbeitungszeit und Interesse deckten sich mit Frau Brenners Interesse. Sie recherchierte in historischen Quellen, schon im Juni 2011 gab es die ersten Laborversuche. Bei der Rezepturanpassung und der Verarbeitungsprozedur flossen die Erfahrungen der Arbeitsgruppe „Süßwaren" in die Arbeiten ein, und Rohstoffe sowie die technischen Ausrüstungen des Institutes wurden für die Masseherstellung, Formgebung, Lagerung und Untersuchung genutzt.

Wie aber kann man ein 170 Jahre altes Rezept rekonstruieren?
„Wir haben uns dem Ganzen per Ausschlussverfahren genähert", sagt Yvonne Schneider: „Welche Rohstoffe gab es damals noch nicht, welche Technologien konnten die Fabrikanten noch nicht kennen?" Die Kakaomasse so fein zu mahlen wie heute war z.B. damals nicht möglich. Milchpulver gab es damals nicht, so wurde Flüssigmilch verwendet. „Bei den ersten Versuchen hatte die Masse eher die Textur eines Kaubonbons. Am Ende sind wir bei 60 Prozent Kakao, 30 Prozent Zucker und 10 Prozent Milch angelangt", erzählt Schneider.

Und was ist mit der Eselsmilch?
Die habe man versucht zu bekommen. Aber da Esel in dieser Jahreszeit keine Junge hätten, gebe es auch keine Milch. Vielleicht solle man es ja mit Eselsmilch noch einmal versuchen, so Dr. Schneider, mal sehen, ob es geschmacklich so viel besser werden würde.

Ob sie auf den Markt gebracht werden soll, die neue erste Schokolade der Welt?
Bisher hat noch kein Sponsor an die TUD-Türen geklopft, der die Produktion übernehmen möchte. So bleibt sie zunächst historisch wertvoll und bringt vielleicht den Namen der Schokoladendynastie Jordan & Timaeus wieder ins Gedächtnis, die Mitte der 1930er-Jahre erlosch.

Geätzte Glasscheibe aus der Timaeusvilla.
Geätzte Glasscheibe aus der Timaeusvilla.
Heute existiert nur noch die denkmalgeschützte Timaeusvilla auf der Alaunstraße 71b, hinter hohen Gründerzeitbauten versteckt im Hof gelegen. Auch die Querstraßen, die ober- und unterhalb der Villa vorbeiführen, erinnern als „Jordan"- und "Timaeusstraße" an die beiden Industriellen, die die süße Verführung erfanden. Die Geschichte von „Jordan & Timaeus" steht exemplarisch für die Bedeutung vieler Dresdner Süßwarenfabrikanten. Bis Mitte April 2012 gibt es dazu im Sächsischen Industriemuseum in Chemnitz die Ausstellung „Das süße Herz Deutschlands – Sachsens Schokoladenseite". Zu verdanken ist sie der langjährigen Forschungsarbeit des Vereins WIMAD. Besucher erhalten nicht nur einen Einblick in die Geschichte der Dresdner Süßwarenindustrie, sondern auch in die des Dresdner Verpackungsmaschinenbaus und der Schokoladenformenfertigung.

Und auch die rekonstruierte erste Milchschokolade der Welt ist dort zu sehen ...