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Dr. Rainer Jork
E-Mail: rainer.jork@t-online.de

Lesererzählungen

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Mein Studium in der DDR – persönliche Erlebnis- und Erfahrungsberichte
Susann Mayer

Wie studierte es sich in der DDR, unter den Bedingungen des „real-existierenden Sozialismus“? Wie (un-)frei waren Lehre und Forschung, welchen Repressalien unterlagen unangepasste Studenten und Forscher?

© Archiv Dr. Jork; Der Autor 1962
© Archiv Dr. Jork; Der Autor 1962
„Mitunter streitet man heute bereits zu der Frage, ob der Sozialismus in der DDR wirklich eine Diktatur gewesen sei, ignoriert in Unkenntnis oder bewusst, dass dies ganz offiziell dem ideologischen Anspruch der Machthaber entsprach“, so Dr. Rainer Jork, TU-Absolvent und Mitinitiator des Projektes „Mein Studium in der DDR“. Gefördert wird es von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. „Persönliche und damit subjektive Erfahrungsberichte zur Studienzeit in der DDR sollen dazu beitragen, für die jüngeren Generationen diese Zeit greifbar zu machen“, erläutert Dr. Jork das  Anliegen des Projektes.

Kontakt wollte Näheres dazu wissen:

Dr. Jork, was hat Sie dazu bewogen, dieses Projekt ins Leben zu rufen?
Bei einer Tagung zu „Politisch motivierten Urteilen und anderen Formen von Repressionen gegen Studenten der TH/TU Dresden in der DDR“ im Jahre 2009 fiel mir auf, dass die heutige Jugend dort nicht anwesend war. Die Forderung nach einer besseren Information junger Leute zu diesem Thema wurde mehrfach formuliert. Als Mitglied der beiden Enquete-Kommissionen zur Aufarbeitung der DDR-Diktatur im Bundestag sowie als TUD-Student von 1959 bis 1964 fühlte ich mich in gewisser Weise zur Mitwirkung verpflichtet. Bereits 2007 traf sich Herr Knoblauch, dem aus politischen Gründen 1971 der akademische Grad von der TUD aberkannt worden war, mit dem damaligen Rektor, Prof. Hermann Kokenge. Im Endeffekt fanden wir drei – Prof. Kokenge, Herr Knoblauch und ich – uns als Betreiber des o.g. Vorhabens.

Was genau möchte das Projekt vermitteln?
Wir wollen mit Zeitzeugenberichten Schülern und Studenten persönliche Erfahrungen von den Studienbedingungen in der DDR vermitteln. Sie sollen dabei angeregt werden, ihre eigenen Studienbedingungen, ihre Motivationen unter den Gegebenheiten unserer Demokratie kritisch vergleichen. Man sollte sich beispielsweise fragen: Wie nutze ich meine Studienzeit verantwortungsbewusst? Was bedeutet mir Freiheit von Lehre und Forschung? Wie und in welchem Maße sollte ich mich für demokratische Bedingungen und Stabilität selbst engagieren? Was verstehe ich unter meiner eigenen Verantwortung an der Universität und danach im Berufsleben?

© Archiv Dr. Jork; Der Autor selbst
© Archiv Dr. Jork; Der Autor selbst
Wie sind Sie zu dem Schluss gekommen, dass die heutigen Schüler/Studenten über diese Zeitepoche weniger wissen als es notwendig scheint?

Dass an den genannten Tagungen junge Leute fernblieben, mag auch an einem allgemeinen Desinteresse liegen. Es ist nach 25 Jahren deutscher Einheit irgendwie normal, dass man Vergangenes deutlich weniger beachtet, als mit einem Blick nach vorn die eigene Zukunft zu gestalten. Gespräche mit den eigenen Enkeln und ihren Altersgenossen vermitteln in der Regel keinen anderen Eindruck. Die Demokratie wird als gegeben und normal empfunden. Sie muss jedoch stets neu verteidigt, als persönliche Verpflichtung für das Gemeinwohl verstanden werden. Das gilt es – durchaus auch emotional – zu vermitteln.

In einem Bericht zum Stand der Aufarbeitung der DDR-Diktatur betreffend des Geschichtsunterrichtes wird u.a. festgestellt, dass die Kenntnisse über diese Diktatur sehr mangelhaft sind. Zitat: „Die Zeitzeugenarbeit ist ein besonders wichtiges Instrument, um historisches Wissen, insbesondere zur Diktaturgeschichte, zu vermitteln.“ Zeitzeugen sterben naturgemäß aus. Gleichzeitig muss immer wieder eine gewisse Ignoranz, Verharmlosung und Verniedlichung bestimmter Geschehnisse in der DDR und dabei auch an den Universitäten und beim Studium festgestellt werden. Es besteht Handlungsbedarf, auch für uns.    

Sie haben Zeitzeugen aufgerufen, Ihre individuellen Erlebnisse dazu aufzuschreiben. Was geschieht dann damit?

Wir wollen die Zeitzeugenberichte von renommierten Historikern wissenschaftlich begleiten lassen und nach Möglichkeit als Buch heraus bringen. Die Dokumentation soll bis Mitte 2016 stehen.

Das TUD-Absolventenreferat hat vor Jahren das Buch „Mit dem Motorrad durch den Zeuner-Bau herausgegeben“, in dem Absolventen den Leser an den Befindlichkeiten früherer Studentengenerationen teilhaben lassen. Welchen Unterschied gibt es zu Ihrem Projekt?

Das Buch ist im Wesentlichen eine unverzichtbare Sammlung lebensfroher und lebendiger Schilderungen von Studienerlebnissen ehemaliger TU-Studenten, das man mit Schmunzeln und einigem Vergnügen lesen kann. Die oft existentiell bedrohlichen Repressionen an der TUD, die nicht in wenigen Fällen zu Studienabbruch, Exmatrikulation und gar Westflucht führten, spielen jedoch dabei keine signifikante Rolle. Nach Erscheinen des Buches wurden gerade dazu konkrete Beispiele bekannt. Ich denke da beispielsweise an den Beitrag von Dr. Landrock (Seite 74 im genannten Buch) zu Prof. Simon. Den inzwischen eingesehenen Stasi-Akten zu Prof. Simon ist zu entnehmen, dass er aus dem engsten Mitarbeiterkreis an der TH bespitzelt, überwacht und bei der Stasi denunziert wurde. Wäre nicht sein Tod dazwischengekommen, wäre er wohl vom MfS verhaftet und in einem Schauprozess verurteilt worden. Das mag dem Autor damals nicht bekannt gewesen sein. Wenn Sie so wollen: Wir schließen an das genannte Buch an und wollen den Forderungen entsprechend mit Ergänzungen – den aktuellen Erkenntnissen entsprechend – zu einer erweiterten Sicht der Geschehnisse an der TUD und auch anderswo beitragen.

© Archiv Dr. Jork; Die Seminargruppe des Autors
© Archiv Dr. Jork; Die Seminargruppe des Autors
Wie viel Zeitzeugenberichte haben Sie bereits, und würden Sie sich über weitere freuen?
Wir haben über 50 Zeitzeugenberichte in Bearbeitung und sind an einer Ergänzung immer interessiert. Schließlich sind die persönlichen Erfahrungen sehr unterschiedlich und mit den bisher vorhandenen Berichten sind die Themenfelder (Beispiele: Auslandstudium und Berichte von Studentinnen, geisteswissenschaftliche und Kunstrichtungen) recht unterschiedlich oder nicht erfasst.

Danke für das Gespräch, Dr. Jork