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Unrecht ohne Ursachen
Dagmar Möbius

Mehr als 30 Jahre kämpfte Manfred Büchner für die Wahrheit und für Wiedergutmachung. Der anerkannte Chemiker wurde in der DDR nicht zum Professor berufen. Warum, erfuhr er erst kurz vor seinem 90. Geburtstag durch den Leiter des Dresdner Universitätsarchivs, Dr. Matthias Lienert.

Im November 1927 in Dresden geboren, genoss Manfred Büchner eine behütete Kindheit. Er besuchte die private Mochmann-Grudesche Lehranstalt und wechselte nach drei Jahren an das Kreuzgymnasium. „Trotz nationalsozialistischem Einfluss bemühte sich die Kreuzschule immer um menschliche Würde“, berichtet der 90-Jährige. Ein zunächst nicht erkannter Blinddarmdurchbruch brachte den Jungen elfjährig in Lebensgefahr. Gerettet vom berühmten Chirurgen Professor Fromme vom Friedrichstädter Klinikum, konnte er ab 1939 wieder die Schule besuchen. „Die Bedingungen wurden härter.“ Nicht nur, dass im Unterricht der Krieg und der Kampf der deutschen Truppen thematisiert wurden, nun bevölkerten Schüler des geschlossenen katholischen Benno-Gymnasiums zusätzlich die Räume. Mit 16 Jahren kam Manfred Büchner 1944 zur vormilitärischen Ausbildung ins Erzgebirge. Danach wurde er zum Wehrdienst einberufen. „Bei -15°C ging es in gefrorenen Güterwagen zur Luftwaffeneinheit in Wittenberg. Bei der Einkleidung erfuhren wir, dass wir als Ersatzkräfte für die Verteidigung des Oderbruches und der Seelower Höhen zum Schutz von Berlin eingesetzt werden sollen“, erinnert er sich. Bei einem Luftangriff durch einen Tiefflieger wurde er 17-jährig schwer verwundet und kam ins Lazarett nach Dresden.

© Universitätsarchiv; Der Fritz-Foerster-Bau, damaliger Sitz der TUD-Chemiker, in den 1960er-Jahren
© Universitätsarchiv; Der Fritz-Foerster-Bau, damaliger Sitz der TUD-Chemiker, in den 1960er-Jahren

Ende 1945 absolvierte Manfred Büchner einen Intensivlehrgang für Notabiturienten an der Volkshochschule Dresden und erzählt: „Prüfungsvorsitzender war Professor Dr. Klemperer.“ Danach arbeitete er kurzzeitig in einer Druckerei und wurde an der Heimschule für Lehrerbildung in Dresden-Wachwitz aufgenommen. Als Neulehrer startete er im Herbst 1946. Dann hörte er, dass die Technische Hochschule Dresden teilweise wiedereröffnen würde, zunächst nur für das Gewerbelehrerstudium. Der Kreisschulrat von Freital delegierte ihn. Nach einigen Kämpfen um Fachrichtungszulassungen 1950 war Manfred Büchner Diplom-Chemiker. Ab 1952 arbeitete er „auf Anweisung als Laborleiter im Klinikum Friedrichstadt“. Ein Jahr später promovierte er, 1959 folgte die Habilitation auf dem Gebiet der Klinischen Chemie. Ab 1963 bekam Manfred Büchner eine Dozentur für spezielle Gebiete der Biochemie und hielt Vorlesungen. In dieser Zeit wurde er unter anderem mit der Hufeland-Medaille in Gold ausgezeichnet. Seine „Zusammenarbeit mit den Instituten für Physikalische Chemie und Lebensmittelchemie führte zu 80 Veröffentlichungen und vier Fachbüchern sowie zu 15 Diplom- und Doktorarbeiten mit erfolgreichem Abschluss“.

© Universitätsarchiv
© Universitätsarchiv
Die hoffnungsvolle Karriere stoppte, als 1967 Unterlagen einer von Fachprofessoren eingereichten Berufung zum Professor verschwanden. Plausible Erklärungen von allen zuständigen Stellen gab es keine. Alle Nachfragen liefen ins Leere. 1985 stellte der Präsident der Biochemischen Gesellschaft, Professor Rapoport erneut einen Berufungsantrag. Die Sektion Chemie und das Rektorat der Technischen Universität Dresden lehnten ab. Manfred Büchner unterrichtete weiter.

Nach der Wende 1990 übersiedelte der Chemiker mit seiner Familie nach Wolfenbüttel. Erst jetzt erhielt er auf Nachfrage Hinweise vom Dresdner Universitätsrektor Professor Landgraf. Wichtige Personalunterlagen waren jedoch verschwunden. Manfred Büchner hielt bis 1993 Vorlesungen. Bis zur Aufklärung seines Schicksals sollte er noch bis fast zu seinem 90. Geburtstag warten müssen. „Endlich fand der Archivleiter meine Personalakte wieder“, freut er sich. Sie enthielt ausschließlich gute Beurteilungen, auch von Instituten in Berlin, Leipzig und Rostock.
Ein Schreiben vom 5. April 1967 von Professor Dr. Dr. S. Rapoport, Institut für Physiologische und Biologische Chemie der Medizinischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin, an Herrn Prof. D. U. Freimuth, Technische Universität Dresden, betreffend „Ernennung von Herrn Doz. Dr. rer. nat. habil. Manfred Büchner zum Professor (nebenamtlich) endet mit dem Satz: „Der Umfang seiner Leistungen und Tätigkeiten seit dem Jahr 1959, dem Zeitpunkt seiner Habilitation, würde m. E. eine Ernennung zum Professor vollauf rechtfertigen.“

Dr. Mathias Lienert, Direktor des Universitätsarchivs an der TUD, hat alle Dokumente gesichtet und Anfang des Jahres persönlich mit Dr. Manfred Büchner gesprochen. Er sagt: „Er gehörte zu den außerordentlich initiativreichen und fleißigen Angehörigen des akademischen Mittelbaus, der sich nach dem Krieg auf dem zweiten Bildungsweg bis zur höchsten akademischen Graduierung hochgearbeitet hat. Er hätte sicher eine Berufung zum Professor, zumindest zum Honorarprofessor, verdient. Aber letztlich ist die ganze Sache trotz vielfältigster Unterstützung auch seitens der gesellschaftlichen Organisationen, einschließlich der SED, im Sande verlaufen. Die Berufung scheiterte an der Bürokratie und der damaligen Unterschätzung der interdisziplinären Zusammenarbeit.“ Politisch motiviert sei die Nicht-Ernennung nicht gewesen. Eher eine unglückliche Konstellation.

„Es kann davon ausgegangen werden, dass das Lehrgebiet von Dr. Büchner nach Auffassung der Leitung der Sektion Chemie nicht in das Wissenschaftsprofil der TU Dresden passte. Von Seiten der ehemaligen Medizinischen Akademie Dresden Carl Gustav Carus wurden in der Regel Nichtmediziner nicht zu Professoren/Professorinnen berufen. Ausnahmen bildeten Berufungen für das marxistisch-leninistische Grundlagenstudium“, erläutert Dr. Matthias Lienert. Er hält eine Würdigung von Doz. Dr. Büchner für voll gerechtfertigt und begründet: „Er arbeitete außerordentlich wissenschaftlich und praktisch erfolgreich auf einem Grenzgebiet zwischen Medizin und Chemie. Eigentlich hat er vor fünfzig Jahren das realisiert, was heute in der Wissenschaft gefordert wird und sich in der Exzellenz widerspiegelt. Als Gründer und Leiter eines modernen Labors  hat er zudem die medizinische Versorgung nachhaltig unterstützt."