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Dr. med. Oxana Atman, München

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Ärztinnen mit Herz, Hirn und Mut
Dagmar Möbius

Marie Downar und Oxana Atmann hinterfragten bereits als Medizin-Studierende Eingefahrenes und wagten Neues. Vor zwei Jahren organisierten sie mit dem bundesweit tätigen gemeinnützigen Verein „Medizin und Menschlichkeit“ das Symposium „Zukunft: Medizin“ in Dresden.

Inzwischen haben sie ihren Lebensmittelpunkt in Sachsen und in Bayern. Eng befreundet sind sie immer noch. Und das Lernen ist für die promovierten Ärztinnen noch lange nicht beendet. Ein Skype-Interview zwischen Dresden, München und Berlin.

Marie und Oxana, Ihr habt einiges gemeinsam: Jahrgang 1983, gebürtige Brandenburgerinnen und Ihr nahmt mit 20 Jahren ein Medizinstudium auf, das Ihr 2010 beziehungsweise 2011 an der TU Dresden erfolgreich abgeschlossen habt. Warum wolltet Ihr Ärztin werden?

Dr. Marie Downar
: Es gab kein bestimmtes Ereignis, von dem ich sage: Jetzt muss ich Ärztin werden. Allerdings habe ich als Kind bei meinem Opa viel Leid erlebt. Er war schwer krank, konnte aber nicht in Frieden gehen. Das hat bei mir viele Fragen ausgelöst. Ich überlegte auch, Philosophie, Literaturwissenschaften oder Journalismus zu studieren. Da hätte ich aber eher eine Sicht von außen eingenommen. Auch Biotechnologie interessierte mich. Humanmedizin ist ein guter Mittelweg und ich kann Akteurin sein. Ich erhoffte Antworten: Die Medizin steht als Heilkunst im Dienst der Gesunderhaltung, Heilung und Begleitung des Menschen in all seinen Lebensphasen zwischen Geburt und Tod. Als Natur- und Erfahrungswissenschaft ist sie ganz nah am Wie und Warum aller Lebensprozesse. Ich habe die Entscheidung nie bereut.

Dr. Oxana Atmann: Bei mir war Medizin lange Zeit nicht im Fokus. Die Frage, aus welchem Stoff der Mensch besteht, bewegte mich allerdings schon während meiner Schulzeit. Nach einem Schuljahr in den USA bekam ich mehr Klarheit darüber, wo mich mein Lebensweg hinführen könnte und mein Interesse wendete sich zur Medizin hin. Und dann hatte ich auch das Glück, in Freiberg, wo ich aufgewachsen bin, eine tolle, ganzheitlich arbeitende Hausärztin kennenzulernen. Durch sie bin ich gewachsen. Mich interessierten die Naturwissenschaften und alles Geistige. Daher vereint die Medizin für mich Menschliches, Unerklärliches und knallharte, rationale Naturwissenschaft – ich brauche beide Welten.

© privat; Dr. Marie Downar (l.) und Dr. Oxana Atmann (r.) mit Dr. Robin Youngson
© privat; Dr. Marie Downar (l.) und Dr. Oxana Atmann (r.) mit Dr. Robin Youngson

War die Wahl für den Studienort Dresden eine klare Sache?

OA: Nach dem Physikum in Rostock entschied ich mich, zurück nach Sachsen zu gehen. Dort setzte ich mein Hauptstudium an der Medizinischen Fakultät der TU Dresden fort. Nach diesem Wechsel blieb mir vor allem der gut strukturierte Start in Erinnerung. Ein Campus, das Studium in einem Guss – dadurch gab es mehr Zeit für den medizinischen Inhalt und das Miteinander mit verschiedenen Fachbereichen. Weil die Medizinische Fakultät räumlich entfernt vom TU-Campus liegt, fühle ich mich eher als Carl-Gustav-Carus-Absolventin. Die relativ junge, 1993 gegründete, Fakultät ist offen für Veränderung. Studentische Evaluierungen wurden ernstgenommen und veränderten innerhalb kürzester Zeit Teile des Curriculums und verbesserten die Lehre nachhaltig. Dies gab mir das Gefühl, aktiv am Geschehen teilzunehmen.

MD: Was und Wo lagen ganz nah beieinander. An der TU Dresden gewann ich den Eindruck, meinem Forschergeist freien Lauf zu lassen und meinen Wissensdurst stillen zu können. Der Dresdner Reformstudiengang der Humanmedizin mit seinem DIPOL (Dresdner Integratives Problem-/Praxis-/Patienten-Orientiertes Lernen)-Konzept war damals deutschlandweit neu und schien Theorie und Praxis so effektiv zu verflechten, dass ich glaubte, hier eine Ärztin mit Hirn und Herz werden zu können. Die Atmosphäre an der Uni fühlte sich aus der damaligen Perspektive betrachtet innovativ und dynamisch an. Die Uni war eingebettet in eine traditionsbewusste Kulturstadt, die mir genau groß genug vorkam, um Tor zur Welt sein zu können, ohne dass ein Einzelner im anonymen Menschenmeer zu versinken droht. Als nach meinem Krankenpflegepraktikum in Dresden die Studienplatzzusage für Dresden kam, freute ich mich sehr, denn ich glaubte, mich hier gut entfalten und einbringen zu können. Ich bin sehr dankbar, dass ich an der TU Dresden studieren durfte. Mir ist bewusst, dass das keine Selbstverständlichkeit ist.

Wie beurteilt Ihr die im Studium erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten?
OA: Das praktisch orientierte Studium mit vielen interaktiven Kleingruppenanteilen bereitete auf die ärztliche Tätigkeit und vor allem auf das Staatsexamen vor. So konnten wir uns eine gute Basis erarbeiten, um später ärztlich und menschlich im Gesundheitswesen zu agieren. Durch meine Promotion bei Professor Thomas Hummel vom Riech- und Schmeck-Labor in der HNO-Klinik habe ich grundlegende Fähigkeiten in der akademischen Forschung erworben, welche ich in meiner aktuellen Tätigkeit als ärztlich-wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Allgemeinmedizin am Klinikum rechts der Isar der TU München weiter ausbaue. Ich bin ihm sehr dankbar, dass ich von Anfang an selbstständig agieren durfte und herzlich in dem internationalen Team aufgenommen wurde.

MD: In jedem Fachbereich konnte man als Medizinstudierender jederzeit auf Nachfrage mitlaufen und mitarbeiten. Sehr förderlich, sowohl fachlich als auch menschlich, erlebte ich die Zeit meiner experimentellen Doktorarbeit in der Strahlentherapie des Universitätsklinikums. Ich wurde sowohl im wissenschaftlichen als auch im klinischen Kontext gefordert und gefördert, wobei die Übergänge sehr fließend waren. In allen Bereichen der Onkologie bekam ich auch ein Gefühl für das Herangehen an schwierige Situationen. Und es gab Team-Supervisionen. Diesen Raum für Fragen, Austausch und Reflexion hätte ich mir in allen Bereichen des Medizinstudiums gewünscht.

Ihr habt beide auch Erfahrungen im Ausland sammeln dürfen …
MD: Ja, ich erlebte viel Gestaltungsfreiraum und Dynamik, während ich das Famulatur-Austauschprogramm mit der Medizinischen Akademie in Breslau mitorganisierte und half, das Erasmus-Austausch-Studium mit Breslau zu etablieren. Das DIPOL-Curriculum war aber eher hinderlich, weil es nur mit sehr hohem organisatorischem Aufwand zu den Curricula der ausländischen Hochschulen passte. So hatte ich zum Beispiel schon das vierte Studienjahr umorganisiert, um das fünfte Studienjahr in Breslau verbringen zu können.

OA: Verschiedene Abschnitte des Studiums absolvierte ich im Ausland und war unter anderem in Brisbane/Australien, Wattwil/Schweiz, Murcia/Spanien und mit einem Stipendium der Deutsch-Chinesischen Gesellschaft in Tangshan/China.

© H. Goehler; Kapuzinerkresse stärkt das Immunsystem und wirkt antibiotisch
© H. Goehler; Kapuzinerkresse stärkt das Immunsystem und wirkt antibiotisch
  
Und Ihr habt das Studium ja auch eigeninitiativ bereichert? Wie und was blieb im Gedächtnis?

OA: Im Studium war ich begeistert von der Heilkraft der Pflanzen und wollte mehr darüber lernen. So haben wir das Wahlfach „Phytopharmakologie“ initiiert, welches mit einer Prüfung und einem Schein abgeschlossen wurde. Wir organisierten den freiwilligen Kurs komplett selbstständig. Er lief ein Semester lang und war so schnell ausgebucht, dass die Plätze nicht ausreichten. Professor Erich Wettwer aus der Pharmakologie hat uns im Vorfeld und auch während der Durchführung stets unterstützt. Ich war überrascht, welch großer Heilgarten sich im Botanischen Garten der TU Dresden befindet. Besonders hat sich mir die Kapuzinerkresse eingeprägt: sie stärkt das Immunsystem und wirkt antibiotisch.

MD: Ja, diesen Phytopharmakologie-Kurs so spontan auf die Beine stellen zu können, ist mir auch positiv in Erinnerung geblieben. Es ist sinnvoll, über die Wurzeln der Medizin und somit auch über die Einsatzgebiete der modernen Pflanzenheilkunde Bescheid zu wissen. So gehörte zum Beispiel in der Strahlentherapie von Kopf-Hals-Tumoren neben anderen Maßnahmen auch eine gute Mundhygiene mit Salbeitee-Spülungen dazu, um die Entstehung der sehr schmerzhaften strahleninduzierten Mundschleimhautentzündung abzumildern. Und im Phytopharmakologie-Kurs lernten wir dann bei einem Besuch der Bombastus-Werke in Freital, wie Salbei angebaut und ihre Bestandteile beispielsweise zu Tee oder Mundwasser verarbeitet werden. Da griff alles schön ineinander.

Der Naturheilmittel-Hersteller gilt als einer der größten Anbaubetriebe von mehrjährigem Salbei in Europa und ist nach eigenen Recherchen das weltweit einzige Unternehmen, das die komplette Pflanze von der Wurzel bis zur Blüte verarbeitet. Bombastus bewirtschaftet rund 40 Hektar rund um Freital-Wurgwitz. Der überwiegende Teil der Salbeipflanzen wird zu Tee verarbeitet. Darüber hinaus verwendet Bombastus den Salbei für etwa 20 weitere Produkte, zum Beispiel für Salben, Mundwasser oder Zahncreme. www.bombastus.de

Bei Dir, Marie, gab es noch ein nachhaltiges Erlebnis während des Studiums …
MD: Die Geburt unserer Tochter 2009 und die nachfolgende Zeit intensiver Therapien bedeuteten einen großen Einschnitt und viele Erfahrungen aus Patientenperspektive für uns. Da war es ziemlich schwer, das Praktische Jahr in Vollzeit abzuleisten und intensiv für das letzte Staatsexamen zu lernen.

Wie habt Ihr die aus Eurem Erleben resultierenden Wünsche konstruktiv umgesetzt?

© privat; Dr. med. Marie Downar
© privat; Dr. med. Marie Downar
MD: Meinen Kommilitonen verdanke ich, dass wir menschlich-ethische Dilemmata, Sinnkrisen und das große Warum des Lebens immer wieder im privaten Rahmen diskutierten.

Einen Raum für Austausch und Reflexion fanden Oxana und ich durch die Frühjahrsakademie des gemeinnützigen Vereins Medizin und Menschlichkeit. Dort trafen wir weitere Medizinstudierende, Ärztinnen und Ärzte, denen neben fachlich-technischen Fähigkeiten auch ärztliche Kompetenzen wie Kommunikation, die Stärkung einer Haltung der Menschlichkeit oder Umgang mit Grenzsituationen besonders am Herzen liegen – um nur einige wenige Aspekte der Bewegung herauszunehmen. Auch traf ich dort viele ältere Kollegen, die mich in jeder Hinsicht inspirierten. Zum Beispiel den beeindruckenden HNO-Arzt und Zahnarzt Dr. med. Jochen Gleditsch, der mit seinen über 80 Lebensjahren auf mich mit meinen damals 29 Lebensjahren blickte und sagte: ‚Du hast noch so viel Zeit‘. Das ermutigte mich beispielsweise, in Teilzeit arbeiten zu gehen und die Facharztweiterbildung so zu gestalten, dass ich auch für unsere Kinder da sein kann. Dabei traf ich, besonders im klinischen Bereich, auf organisatorische Herausforderungen und spürte auch teilweise noch den stillen Vorwurf ‚Ein guter Arzt ist rund um die Uhr für seine Patienten verfügbar‘.

Auch spielte mir ein Kollege das Buch „Time To Care“ des international bekannten Anästhesisten Dr. Robin Youngson aus Neuseeland in die Hände. Hier hatte der ehemalige Klinikleiter Wissens- und Beachtenswertes, oft auch Selbstverständliches, in einen wissenschaftlich fundierten und erfahrungsbasierten Leitfaden gegossen. Vergleichbar Praktisches und Motivierendes fand ich im deutschen Sprachraum damals nicht. Das Rad muss ja nicht neu erfunden werden, dachte ich und übersetzte dieses Buch ins Deutsche, so dass alle deutschsprachigen Interessierten diese Informationen konstruktiv nutzen können. In diesem Monat besuche ich eine Veranstaltung über Gemeinwohlökonomie im Gesundheitssystem und bin gespannt auf die Impulse.

Ich hoffe, dass es uns immer besser gelingt, die heute in vielerlei Hinsicht relativ gut vorhandenen Ressourcen so einzusetzen, dass allen damit gedient ist. Dass wir weiterhin zu starke bürokratische oder ökonomische Zwänge in Frage stellen. Und dass wir Rahmenbedingungen schaffen, die sowohl ein erfüllendes Berufsleben – in Stadt und Land, ambulant oder in der Klinik – als auch das allumfassende Patientenwohl immer besser unterstützen. Dafür ist es wesentlich, Räume für zwischenmenschlichen Austausch über alle Erfahrungs- und Hierarchieebenen und Gesundheitsberufe hinweg zu schaffen, auch und gerade im Medizinstudium, aber natürlich auch darüber hinaus. Ich bin offen, daran mitzuwirken.

OA: Berufsbegleitend studiere ich an der Apollon University Bremen den ‚Master of Health Management‘. Die Wirtschaftswelt interessiert mich. Mir scheint auch, dass momentan mit der Ökonomie und der Medizin zwei Welten im Gesundheitswesen aufeinanderprallen. Lassen sich Gewinnabsichten und der hippokratische Eid in Einklang bringen? Durch dieses weitere Studium hatte ich inspirierende und herausfordernde Gespräche mit Wirtschaftswissenschaftlern, konnte viel Neues lernen und wünsche mir, an einer ausbalancierten und am Gemeinwohl orientierten Medizin mitzuwirken.

Seit sieben Jahren engagiert Ihr Euch im bundesweiten Verein „Medizin und Menschlichkeit“. 2016 habt Ihr das „Symposium Zukunft: Medizin“ in Dresden organisiert. Warum?

© privat; Dr. med. Oxana Atmann
© privat; Dr. med. Oxana Atmann
OA: Mediziner sollen Leiden lindern und Krankheiten vorbeugen. Doch wenn ökonomische Interessen die Macht-, Leitungs- und Leistungsstrukturen im Gesundheitswesen bestimmen, wird ärztliches Handeln ein unmenschlicher Spagat zwischen Ethik und Profit. Wir müssen die Freude am ärztlichen Wirken, in welchem der Mensch im Mittelpunkt steht, erhalten. Dafür braucht es couragierte Gesundheitsberufler, die sich einbringen und den Mut haben, neue Wege gemeinsam zu gestalten. Dafür braucht es eine Medizin, die eine menschlich orientierte Gesundheitswesen-Identität kreiert, die die gesamte Gesellschaft sektorenübergreifend, kooperativ und transparent verbessert.

MD: Die Idee zu dem Symposium hatten wir, als wir Dr. Robin Youngson, dem Autor von „Time To Care“, anlässlich der Veröffentlichung der niederländischen Übersetzung in der Medizinischen Fakultät in Groningen (Niederlande), das erste Mal begegneten. Dort bot er an, zur deutschen Buchpremiere nach Dresden zu kommen. Gesagt, getan.


Nach anderthalb Jahren der Vorbereitung fand das Symposium schließlich mit zahlreicher Unterstützung am hiesigen Uniklinikum statt. Schirmherrin war Professorin Antje Bergmann vom Lehrstuhl für Allgemeinmedizin an der Medizinischen Fakultät der TU Dresden. Workshops von Dr. Youngson sowie „Was hab‘ ich?“, den „Spiegelneuronen“, „Arzt mit Humor“, „Medizin und Menschlichkeit“ und ein inspirierender „Dialog der Generationen“ griffen all die Aspekte auf, die Oxana gerade genannt hat. Und die rund 70 Teilnehmerinnen und Teilnehmer brachten sich sehr engagiert ein.

Im Nachgang interessierten sich die Gesellschaft von Freunden und Förderern der TU Dresden, der Sächsische Hausärzteverband und andere für Euch. Was sind Eure Pläne, beruflich und persönlich?
MD: Zunächst sind wir froh, unserer Alma Mater mit dem Symposium etwas zurückgeben zu können. Wir sind dankbar für die Türen, die sich öffneten. Wir hoffen, dass viele solche wissenschaftlichen Veranstaltungen folgen. Persönlich befinde ich mich noch in meiner zweiten Elternzeit und werde danach meine Facharztweiterbildung in Dresden fortsetzen. Ich bin ganz offen, wie ich mich darüber hinaus einbringen kann.

OA: Ich plane, noch dieses Jahr mein Master-Studium abzuschließen. Am Klinikum rechts der Isar in München bin ich seit 2017 an Forschungsprojekten zu Patientenschulungen, Gesundheitskompetenz, eHealth und Versorgungsfragen beteiligt und in didaktische Lehrkonzeptionen involviert. Außerdem möchte ich meine Facharztweiterbildung beenden und auch weiterhin mit der Wirtschaftswelt interagieren. Ich arbeite gern mit Marie zusammen, vor allem zur Frage, wie das Gesundheitswesen gesund für alle sein kann. Vielleicht wartet unser nächstes Projekt schon um die Ecke? (lacht).

Alles Gute für Euch und danke für das Gespräch!


(Weil sich Interviewerin und Interviewte schon länger kennen, wurde das Gespräch aus Transparenzgründen nicht ins formale „Sie“ übersetzt.)