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Absolventenporträts

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Professorin mit zwei Jobs und drei Kindern
Dagmar Möbius

© privat; Wirtschaftspädagogin Prof. Annikka Zurwehme
© privat; Wirtschaftspädagogin Prof. Annikka Zurwehme
Annikka Zurwehme entschied sich nach Abitur und Ausbildung zur Bankkauffrau für den Studiengang Wirtschaftspädagogik an der TU Dresden. Für die gebürtige Hessin war der Weg in den Osten spannend, für viele ihrer Altersgefährten damals unverständlich. 15 Jahre blieb sie Sachsen treu. Hier wurde sie Diplom-Handelslehrerin, promovierte und war als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig. Seit zehn Jahren lebt und arbeitet sie wieder in ihrer Heimat. Dort ist sie Professorin und Inhaberin des Büros für Bildungsfragen Deutschland. Zudem als Mutter von drei Töchtern Meisterin des Zeitmanagements.


„Ich wollte nicht nur eine Matrikel-Nummer sein“, war für Annikka Zurwehme klar. 1994 entschied sie sich für ein Studium an der TU Dresden, obwohl sie auch in Göttingen oder Stuttgart-Hohenheim hätte studieren können. 1972 im hessischen Frankenberg/Eder geboren, hatte sie nach dem Abitur eine Ausbildung als Bankkauffrau bei der Commerzbank erfolgreich abgeschlossen. Ursprünglich wollte sie Betriebswirtschaftslehre studieren. „Doch ich merkte, dass ich lieber einen Lehrberuf ergreifen möchte. So entdeckte ich die Wirtschaftspädagogik als interdisziplinären Studiengang, in dem ich beides vereinen konnte.“

Die Wahl des Studienortes war eine Bauchentscheidung: „Ich habe mir alle drei möglichen Studienstädte angeschaut und mich spontan für Dresden entschieden“, blickt Annikka Zurwehme zurück. Nie zuvor war sie in Sachsen gewesen. Aber trotz der Entfernung zur Familie: „Ich fand es spannend, an einer Uni in den Neuen Bundesländern zu studieren. Die erst 1993 neu gegründete Fakultät Wirtschaftswissenschaften an der TU Dresden reizte mich, weil ich etwas mitgestalten wollte.“ Zudem erschienen ihr die Sachsen freundlich und herzlich: „Überall wurde ich mit einem Lächeln begrüßt.“ Auch der Campus mit seinen alten Gebäuden und der besonderen Stimmung gefiel ihr. Damals ahnte sie noch nicht, dass sie hier ihren Ehemann, einen gebürtigen Bautzener, kennenlernen würde.

© D. Möbius; Seit Anfang der 1990er-Jahre ist die Fakultät Wirtschaftswissenschaften im Hülße-Bau (hier im Bild) als auch im Schumann-Bau beheimatet.
© D. Möbius; Seit Anfang der 1990er-Jahre ist die Fakultät Wirtschaftswissenschaften im Hülße-Bau (hier im Bild) als auch im Schumann-Bau beheimatet.
Im jungen Studiengang Wirtschaftspädagogik waren Anfang der 1990er-Jahre mehrheitlich Frauen eingeschrieben. Schon ab dem zweiten Semester übernahm Annikka Zurwehme Tätigkeiten als studentische Hilfskraft, arbeitete im Fachschaftsrat mit, übernahm dessen Öffentlichkeitsarbeit und gründete später den Absolventenring nexus e. V. mit. „Es wurde uns viel zugetraut und was man gesagt hat, war etwas wert“, lobt sie und schätzt ein: „Ich profitiere noch heute von dem, was ich an der TU Dresden gelernt habe, von den Erfahrungen, die ich dort machen durfte, und von den sehr engagierten Professoren, die ich an unserer Fakultät kennengelernt habe. Sie nahmen die Studierenden als Individuen wahr und waren interessiert, uns als Persönlichkeiten zu entwickeln.“ Stellvertretend nennt sie Professor Thomas W. Günther, der sie in einer „Grundlagen-Controlling-Vorlesung“ einlud, an einer Lernsoftware mitzuarbeiten, was perspektivisch zu einer Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Controlling-Lehrstuhl führte. Professor Ralf Witt ermöglichte ihr nicht nur „Zugang zu verschiedenen Koryphäen der Wirtschaftspädagogik“, sondern bot ihr an, ihr Diplomarbeitsthema in einem kooperativen Drittmittelprojekt zwischen beiden Lehrstühlen zu vertiefen. Auch Professor Horst Walter Endriss mit seinen Steuervorlesungen ist ihr unvergessen. „Aufgrund seines Engagements zeichneten wir ihn während meiner FSR-Zeit mit einem Lehrpreis aus. Er bedankte sich dafür mit einer Party, bei der über 1000 Studierende ausgelassen vor dem Hülße-Bau feierten“, erinnert sich die Mitorganisatorin. Auch ein negatives Erlebnis blieb ihr im Gedächtnis: „In der Nacht nach der Party wurden zwei Bierzapfanlagen gestohlen. Seitdem weiß ich, dass es für Zapfanlagen einen Markt gibt.“ Dennoch gab es später noch viele Endriss-Partys.

Den ersten Absolventenball der Fakultät organisierte Annika Zurwehme ebenfalls mit. Er fand im Jahr 1996 in der Dreikönigskirche statt. „Wir hatten vorher überhaupt keine Vorstellung, wie viele Besucher tatsächlich kommen und hatten das Buffet zu knapp kalkuliert“, erzählt sie eine lehrreiche Anekdote. Um alle satt zu bekommen, musste Pizza nachbestellt werden. „Aber auch das ist uns nur einmal passiert und der Pizzadienst hat in dieser Nacht wahrscheinlich das Geschäft seines Lebens gemacht“, lacht sie.

© Archiv nexus e. V.; Annikka Zurwehme spricht im Jahr 2000 beim Absolventenball der Fakultät Wirtschaftswissenschaften im Ballhaus Watzke.
© Archiv nexus e. V.; Annikka Zurwehme spricht im Jahr 2000 beim Absolventenball der Fakultät Wirtschaftswissenschaften im Ballhaus Watzke.
Nach ihrem im Jahr 2000 mit „sehr gut“ abgeschlossenen Studium zur Diplom-Handelslehrerin arbeitete Annikka Zurwehme an der TUD-Professur „Betriebliches Rechnungswesen/Controlling“ als wissenschaftliche Mitarbeiterin und promovierte. Ihre Dissertation zum Thema „Erfolgsbezogene Steuerung von Weiterbildungseinrichtungen – Überlegungen zur Entwicklung eines Controlling-Systems für Bildungsanbieter“ wurde 2006 mit der Note „magna cum laude“ bewertet.

2009, kurz nach der Geburt ihrer ersten Tochter, zog Annikka Zurwehme zurück nach Hessen und gründete das „bfb Büro für Bildungsfragen Deutschland“ als Partnerunternehmen des BfB Büro für Bildungsfragen AG in Thalwil/Schweiz. Hier berät sie überwiegend Schulen und Weiterbildungseinrichtungen zu Management-Themen. Dabei gehe es nicht immer um Effizienz, sondern vor allem um Qualitätsentwicklung. „Systematische Strukturen auf in der Regel schwer planbare soziale Prozesse zu transferieren“, sieht sie dabei als zentrale Herausforderung ihrer Tätigkeit. „Bei der Arbeit schlagen zwei Herzen in meiner Brust – Controlling bzw. Management und Pädagogik“, beschreibt die Expertin. Konkret: „Man kann tolle Planungen für Lehrveranstaltungen machen, aber dann läuft es in der jeweiligen Situation doch anders. Man muss sich – anders als in einem Industriebetrieb – täglich neu positionieren. Managementstrukturen in Bildungseinrichtungen müssen daher immer verschiedene Gestaltungsvarianten zulassen und entsprechende Freiräume ermöglichen.“

Gleichzeitig lehrte sie an der Universität Duisburg-Essen, an der FOM Hochschule Leipzig und von 2009 bis 2017 an der Hochschule Fulda im Fachbereich Lebensmitteltechnologie, speziell zu Strategischem Management, Kostenrechnung/Kostenmanagement, Unternehmenslehre und Betriebliche Entscheidungsinstrumente.

Seit Sommer 2017 ist Annikka Zurwehme Professorin für Qualitätsmanagement und Controlling an der FOM Hochschule für Oekonomie und Management in Frankfurt am Main. Hier lehrt sie unter anderem zu Themengebieten des Rechnungswesens. In den letzten beiden Semestern konzipierte sie federführend einen Masterstudiengang „Pädagogik & Digitales Lernen“, der als Basis für Seiteneinsteiger ins Lehramt geeignet und „eine praxisorientierte Alternative für Studierende ist, die einen Einstieg in das Bildungswesen anstreben und dabei das Arbeiten mit digitalen Medien als besondere Chance sehen.“

© Foto: privat; Prof. Annikka Zurwehme bereitet Flipcharts für eine Lehrveranstaltung vor.
© Foto: privat; Prof. Annikka Zurwehme bereitet Flipcharts für eine Lehrveranstaltung vor.
„Mein Weg zu dieser Professur war kein gerader“, sagt die 46-Jährige, inzwischen Mutter von drei Töchtern – die jüngsten Mädchen sind siebenjährige Zwillinge. Lange Zeit war sie Lehrkraft auf einer 1/3-Stelle. Heute unterrichtet sie viel an Wochenenden. „Ich versuche immer, Familie und Beruf so miteinander in Einklang zu bringen, dass ich beiden Bereichen so gerecht werden kann, wie es sich für mich gut anfühlt. Das erfordert ein hohes Maß an Flexibilität und ist vielleicht kein Idealmodell, aber mit normalen Rahmenbedingungen funktioniert es nicht“, schätzt sie ein. „Dafür wird das Zeitmanagement besser, man nutzt freie Ressourcen effizienter“, lacht die oft nachts und am frühen Morgen Schreibende.

Neben ihrer Tätigkeit als Hochschullehrerin moderiert Prof. Annikka Zurwehme pädagogische Tage, Workshops und Fortbildungen für Ministerien, Schulen sowie weitere Bildungsorganisationen. „Auch hier weiß man nie, wie es läuft“, schmunzelt sie, „aber als Mutter von Zwillingen lernt man, damit umzugehen und immer einen Plan B zu haben.“

Auf der Forschungsebene arbeitet sie vor allem an Fragen der Wirksamkeit von Managementinstrumenten für Bildungsprozesse. So untersuchte sie in der Vergangenheit, wie sich Qualitätsmanagement auf das individuelle Lernen von Schülern auswirkt. Demnächst führt sie eine Studie zur Wirksamkeit einer Professur an der Schnittstelle mehrerer Fachbereiche einer Kunsthochschule durch. Hier sollen durch die Nutzung qualitativer Evaluationsverfahren unter anderem auch ungeplante Wirkungen für die Studierenden, die Hochschule sowie für die Region bzw. Gesellschaft ermittelt werden.

„Es ist spannend, verschiedene Bälle in der Luft zu halten“, resümiert Prof. Annikka Zurwehme. Und: „Auf lange Sicht war es das alles wert.“