Studium und Lehre | |
Die Wucht der Krise trifft den lehrenden Mittelbau |
Die Politikwissenschaftler Dr. Cathleen Bochmann und Dr. Christoph Meißelbach befragten Ende März knapp 200 Studierende der TUD-Professur für Politische Systeme und Systemvergleich am Institut für Politikwissenschaft nach Voraussetzungen und Wünschen für die digitale Lehre. Die Ergebnisse inspirierten viele Hochschullehrer bundesweit. Aber sie brachten auch Probleme zur Sprache.
Ab Mitte März 2020 wurden an der TU Dresden sämtliche Präsenzveranstaltungen für das Sommersemester abgesagt. Unter höchstem Zeitdruck musste sich der Lehrbetrieb auf die Situation einstellen. „Leitfäden und Stoffsammlungen zur digitalen Lehre und nützliche didaktische Hilfsmittel fanden wir im Internet zuhauf. Was uns jedoch fehlte, war ein Bild davon, was Studierende brauchen und erwarten“, sagt Dr. Cathleen Bochmann. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und wollte wie ihr Kollege Dr. Christoph Meißelbach nicht spekulieren, wie die Lehre geplant werden soll. Innerhalb kürzester Zeit entwickelten beide eine Online-Umfrage, zu der sie 192 für das Sommersemester eingeschriebene Personen einluden. Nur vier Tage konnten diese an der Blitzstudie teilnehmen. Die Rücklaufquote lag bei „ansehnlichen“ 70 Prozent. Das Ziel, eine gesicherte Informationsgrundlage für die Vorbereitung eigener digitaler Lehrangebote in der Corona-Krise zu schaffen, war damit erreicht.
„Auf der Grundlage der qualitativen und quantitativen Befunde konnten wir uns ein differenziertes Bild von der Ausgangssituation, den Bedürfnissen und Befürchtungen der Studierenden machen“, sagt Dr. Cathleen Bochmann. „Wir haben sie sehr ernst genommen und in der Lehrplanung berücksichtigt.“ So setzten die Lehrkräfte nicht nur auf virtuelle Präsenzveranstaltungen, sondern stellten sicher, dass die Lehrveranstaltungen vollständig asynchron absolviert werden können. Lehrvideos und umfangreiches Lehrmaterial wurden auf der Lehrplattform OPAL eingestellt. Zudem sollten alle Aufgaben engmaschig in Kursleitfäden dokumentiert werden.
Vorbehalte und Vertrauensvorschuss
Die Akzeptanz digitaler Prüfungsleistungen lag bei den Studierenden deutlich unter den Erwartungen der Lehrkräfte. „Mit solchen Vorbehalten gegen Podcasts oder Erklärvideos hatten wir nicht gerechnet“, sagt Meißelbach. Mit dem Unbehagen vieler Studierender, sich in Stimme und Bild in virtuellen Präsenzveranstaltungen zu zeigen, auch nicht. Aber: „Die Studie war eine sehr gute Grundlage, um zu Beginn des Corona-Semesters mit den Studierenden darüber ins Gespräch zu kommen, wie wir die gemeinsame Aufgabe stemmen können, trotz der nie dagewesenen Situation qualitativ hochwertige Hochschulbildung zu ermöglichen. Dass wir die Zielgruppe unserer Lehre befragt haben, hat uns zudem einen spürbaren Vertrauensvorschuss und viel Dankbarkeit seitens der Studierenden eingebracht“, ergänzt er.
In der Praxis lief es dann auch „den Umständen entsprechend gut“, schmunzeln beide Wissenschaftler und betonen, dass das besser die Studierenden beurteilen sollten. Die Lehrenden halten dank stabiler, aber dezimierter Gruppen motivierter Studierender die gesetzten Lernziele für erreichbar. „Offenbar haben wir einen Großteil der Studierenden für dieses Semester leider verloren“, fürchtet Meißelbach, hält das aufgrund der anfangs psychisch höchst belastenden Krisensymptome jedoch für verständlich.
Hinderlich: Studierende als schwarze Vierecke
In seinen eigenen Kursen begegnete ihm ein deutliches Problem: „Digitale Lehre behindert echte Interaktivität. Das gilt auch für synchrone Formate wie Videokonferenzen.“ Warum? „Meist habe nur ich Kamera und Mikro an. Die Studierenden werden nur als schwarze Vierecke sichtbar, auf denen ihr Name steht. Unter diesen Umständen ist es schwierig, sie zu ermuntern, sich im freien Debattieren zu üben.“ Und ob alle bei der Sache sind, kann der Dozent dann auch schwer einschätzen. Gut konzipierte Gruppenarbeiten könnten das zwar zu einem gewissen Teil abfedern. „Aber ein organisches Lehrgespräch oder gar eine flüssige Diskussion unter den Studierenden stellt sich nur sehr selten ein.“ So entgeht den Studierenden das Training im Denken und Artikulieren. „Das sind zwei der wichtigsten Fähigkeiten, die eine Hochschule zu vermitteln hat“, gibt Meißelbach zu bedenken. „Und für die Lehrkräfte ist es schwierig, ihr Verhalten situativ an die Bedürfnisse der Studierenden anzupassen, wenn jegliche physische und mimische Rückmeldung fehlt“, ergänzt Bochmann.
„Wir können hier alle nur dazulernen“, haben die Autoren ihre Studie zur digitalen Lehre überschrieben und damit einen Freitextkommentar eines (anonymen) Studierenden aufgegriffen. Der ruckartige Umschwung auf digitale Lehre forderte alle Lehrkräfte sehr heraus. Trotz unbestreitbarer Vorteile wie geringeren Mobilitätsanforderungen, geringeren Studierendenzahlen samt gesenkter (oder vielleicht nur aufgeschobener?) Korrekturlast und der Erschließung vieler multimedialer Möglichkeiten, hält Christoph Meißelbach eine rein asynchrone Lehrtätigkeit für hemmend: „Sie gestaltet sich zäh und träge, der Lehrerfolg bleibt situativ ungewiss.“ Nur eine gründliche Evaluation des Corona-Semesters könne zeigen, was beibehalten werden und was hinterfragt werden soll.
Auch die Studierenden sollten sich fragen, welcher Studienmodus für sie der bestmögliche ist. Um beim Kamera-Beispiel zu bleiben: Es sei nachvollziehbar, wenn Studierende im Seminar ihre Wohnumstände nicht mit der Seminargruppe teilen oder schlicht den Pyjama anbehalten wollen. Langfristig hält Christoph Meißelbach das aber für keine gute Strategie. „Dem Tag Struktur geben, sich voll auf die Lehrveranstaltung einlassen und sich trauen, sich vor anderen Menschen mit seinen Gedanken, Emotionen und Argumenten sichtbar zu machen – das alles ist unverzichtbar, wenn Hochschullehre wirklich erreichen soll, was sie in Aussicht stellt“, sagt er. Und: „Wenn sich Studierende Dozierende in Bestform wünschen, sollten sie die ausgeschalteten Kameras kritisch hinterfragen.“
Verstärkte Asymmetrien im akademischen Mittelbau
Etwas liegt den Studienautoren noch am Herzen: „Mehr Unterstützung als Lobesarien und Dankbarkeitsbekundungen in Rundmails für die Lehrkräfte des Mittelbaus.“ Viele Akademiker mussten private Ressourcen nutzen, um überhaupt arbeitsfähig zu werden. Die neuen Anforderungen und die heimische Care-Arbeit brachte bei denen die eigene wissenschaftliche Weiterqualifikation zum Erliegen, die sich der Herausforderung hochwertiger digitaler Lehre wirklich stellten. „So verstärkte die Corona-Krise bestehende Asymmetrien: Sie schadet gerade denen, die aufgrund von prekären Anstellungsverhältnissen und hohen Lehrdeputaten ohnehin benachteiligt sind“, erklärt Dr. Christoph Meißelbach. Er wünscht sich für seine Kollegen, dass sich recht bald umfangreiche Bestrebungen seitens der verschiedenen Leitungsebenen erkennen lassen, das zu ändern.
Als „durchwachsen“ bilanzieren Dr. Cathleen Bochmann und Dr. Christoph Meißelbach die Lehrerfahrung im ersten Corona-Semester. „Zumindest bewahrte uns unsere Blitz-Studie vor groben Fehlern und half, trotz aller widrigen Umstände, ein ziemlich produktives Lernklima zu schaffen.“ Aus bundesweiten Rückmeldungen über diverse Kanäle haben sie erfahren, dass sich viele Hochschullehrer aller Disziplinen durch die Umfrage inspirieren ließen.
Aus den Studienergebnissen:
© privat; Dr. Cathleen Bochmann vom Institut für Politikwissenschaft
„Auf der Grundlage der qualitativen und quantitativen Befunde konnten wir uns ein differenziertes Bild von der Ausgangssituation, den Bedürfnissen und Befürchtungen der Studierenden machen“, sagt Dr. Cathleen Bochmann. „Wir haben sie sehr ernst genommen und in der Lehrplanung berücksichtigt.“ So setzten die Lehrkräfte nicht nur auf virtuelle Präsenzveranstaltungen, sondern stellten sicher, dass die Lehrveranstaltungen vollständig asynchron absolviert werden können. Lehrvideos und umfangreiches Lehrmaterial wurden auf der Lehrplattform OPAL eingestellt. Zudem sollten alle Aufgaben engmaschig in Kursleitfäden dokumentiert werden.
Vorbehalte und Vertrauensvorschuss
Die Akzeptanz digitaler Prüfungsleistungen lag bei den Studierenden deutlich unter den Erwartungen der Lehrkräfte. „Mit solchen Vorbehalten gegen Podcasts oder Erklärvideos hatten wir nicht gerechnet“, sagt Meißelbach. Mit dem Unbehagen vieler Studierender, sich in Stimme und Bild in virtuellen Präsenzveranstaltungen zu zeigen, auch nicht. Aber: „Die Studie war eine sehr gute Grundlage, um zu Beginn des Corona-Semesters mit den Studierenden darüber ins Gespräch zu kommen, wie wir die gemeinsame Aufgabe stemmen können, trotz der nie dagewesenen Situation qualitativ hochwertige Hochschulbildung zu ermöglichen. Dass wir die Zielgruppe unserer Lehre befragt haben, hat uns zudem einen spürbaren Vertrauensvorschuss und viel Dankbarkeit seitens der Studierenden eingebracht“, ergänzt er.
In der Praxis lief es dann auch „den Umständen entsprechend gut“, schmunzeln beide Wissenschaftler und betonen, dass das besser die Studierenden beurteilen sollten. Die Lehrenden halten dank stabiler, aber dezimierter Gruppen motivierter Studierender die gesetzten Lernziele für erreichbar. „Offenbar haben wir einen Großteil der Studierenden für dieses Semester leider verloren“, fürchtet Meißelbach, hält das aufgrund der anfangs psychisch höchst belastenden Krisensymptome jedoch für verständlich.
Hinderlich: Studierende als schwarze Vierecke
In seinen eigenen Kursen begegnete ihm ein deutliches Problem: „Digitale Lehre behindert echte Interaktivität. Das gilt auch für synchrone Formate wie Videokonferenzen.“ Warum? „Meist habe nur ich Kamera und Mikro an. Die Studierenden werden nur als schwarze Vierecke sichtbar, auf denen ihr Name steht. Unter diesen Umständen ist es schwierig, sie zu ermuntern, sich im freien Debattieren zu üben.“ Und ob alle bei der Sache sind, kann der Dozent dann auch schwer einschätzen. Gut konzipierte Gruppenarbeiten könnten das zwar zu einem gewissen Teil abfedern. „Aber ein organisches Lehrgespräch oder gar eine flüssige Diskussion unter den Studierenden stellt sich nur sehr selten ein.“ So entgeht den Studierenden das Training im Denken und Artikulieren. „Das sind zwei der wichtigsten Fähigkeiten, die eine Hochschule zu vermitteln hat“, gibt Meißelbach zu bedenken. „Und für die Lehrkräfte ist es schwierig, ihr Verhalten situativ an die Bedürfnisse der Studierenden anzupassen, wenn jegliche physische und mimische Rückmeldung fehlt“, ergänzt Bochmann.
„Wir können hier alle nur dazulernen“, haben die Autoren ihre Studie zur digitalen Lehre überschrieben und damit einen Freitextkommentar eines (anonymen) Studierenden aufgegriffen. Der ruckartige Umschwung auf digitale Lehre forderte alle Lehrkräfte sehr heraus. Trotz unbestreitbarer Vorteile wie geringeren Mobilitätsanforderungen, geringeren Studierendenzahlen samt gesenkter (oder vielleicht nur aufgeschobener?) Korrekturlast und der Erschließung vieler multimedialer Möglichkeiten, hält Christoph Meißelbach eine rein asynchrone Lehrtätigkeit für hemmend: „Sie gestaltet sich zäh und träge, der Lehrerfolg bleibt situativ ungewiss.“ Nur eine gründliche Evaluation des Corona-Semesters könne zeigen, was beibehalten werden und was hinterfragt werden soll.
Auch die Studierenden sollten sich fragen, welcher Studienmodus für sie der bestmögliche ist. Um beim Kamera-Beispiel zu bleiben: Es sei nachvollziehbar, wenn Studierende im Seminar ihre Wohnumstände nicht mit der Seminargruppe teilen oder schlicht den Pyjama anbehalten wollen. Langfristig hält Christoph Meißelbach das aber für keine gute Strategie. „Dem Tag Struktur geben, sich voll auf die Lehrveranstaltung einlassen und sich trauen, sich vor anderen Menschen mit seinen Gedanken, Emotionen und Argumenten sichtbar zu machen – das alles ist unverzichtbar, wenn Hochschullehre wirklich erreichen soll, was sie in Aussicht stellt“, sagt er. Und: „Wenn sich Studierende Dozierende in Bestform wünschen, sollten sie die ausgeschalteten Kameras kritisch hinterfragen.“
© privat; Dr. Christoph Meißelbach vom Institut für Politikwissenschaft
Etwas liegt den Studienautoren noch am Herzen: „Mehr Unterstützung als Lobesarien und Dankbarkeitsbekundungen in Rundmails für die Lehrkräfte des Mittelbaus.“ Viele Akademiker mussten private Ressourcen nutzen, um überhaupt arbeitsfähig zu werden. Die neuen Anforderungen und die heimische Care-Arbeit brachte bei denen die eigene wissenschaftliche Weiterqualifikation zum Erliegen, die sich der Herausforderung hochwertiger digitaler Lehre wirklich stellten. „So verstärkte die Corona-Krise bestehende Asymmetrien: Sie schadet gerade denen, die aufgrund von prekären Anstellungsverhältnissen und hohen Lehrdeputaten ohnehin benachteiligt sind“, erklärt Dr. Christoph Meißelbach. Er wünscht sich für seine Kollegen, dass sich recht bald umfangreiche Bestrebungen seitens der verschiedenen Leitungsebenen erkennen lassen, das zu ändern.
Als „durchwachsen“ bilanzieren Dr. Cathleen Bochmann und Dr. Christoph Meißelbach die Lehrerfahrung im ersten Corona-Semester. „Zumindest bewahrte uns unsere Blitz-Studie vor groben Fehlern und half, trotz aller widrigen Umstände, ein ziemlich produktives Lernklima zu schaffen.“ Aus bundesweiten Rückmeldungen über diverse Kanäle haben sie erfahren, dass sich viele Hochschullehrer aller Disziplinen durch die Umfrage inspirieren ließen.
Aus den Studienergebnissen:
- Begrenzte Datenvolumen beim Internetzugang liegen nur bei 6 % der Studierenden vor.
- Mikrofon und Kamera sind bei 17 bzw. 19 % der Studierenden nicht vorhanden.
- 65 % der Studierenden finden, dass die digitale Lehre vollständig auf der etablierten Online-Infrastruktur der TU Dresden realisiert werden sollte.
- 58 % würden sich mit ihrer E-Mail-Adresse bei Plattformen kommerzieller Anbieter registrieren.
- Nur 11 % verweigern Online-Präsenzveranstaltungen total, 40 % befürworten sie.
- Ein Viertel der Befragten „würde multimediale Prüfungsleistungen“ anfertigen.