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Ökonometriker lehrt mit Corona-Simulation |
Statistik gilt bei Studierenden selten als Lieblingsfach. Virtuelle Vorlesungen fordern Lehrende umso mehr heraus. Dr. Martin Treiber unterrichtet an der Professur für Ökonometrie und Statistik, insbesondere im Verkehrswesen an der TUD, die mathematische Modellierung der Wirtschaft. Mitte März 2020 veröffentlichte er eine interaktive Simulation, mit der Wirkungszusammenhänge der Pandemie und der Einfluss von Corona-Teststrategien betrachtet werden können.
Die Idee kam dem seit 20 Jahren als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Wirtschaft und Verkehr Tätigen während der Lockdown-Phase, allein vor dem Computer sitzend. Der Physiker hatte schon mehrere interaktive Simulationen entworfen, unter anderem traffic-simulation.de. Auch die felsampel.de – eine datengetriebene Anwendung, die die wetterbedingte Klettereignung der Felsen im Elbsandsteingebirge schätzt – stammt von dem Freizeitkletterer. Seine Corona-Simulation ist ein Standard-Infektionsausbreitungsmodell, das auch sonst in Vorlesungen behandelt wird.
„Zur Corona-Situation hatte ich schon früh den Eindruck, dass die offiziellen Informationen nicht immer auf optimalen Methoden beruhen. Also habe ich mir die Methoden zur Schätzung des Reproduktionswertes R vom RKI und von anderen Stellen angeschaut“, berichtet der gebürtige Nürnberger. Die fand er „aus Sicht des Ökonometrikers etwas unterkomplex“. Er wollte wissen, wie der Umfang der Testungen das Ergebnis verfälschen kann. „Als Ökonometriker ist man ja datenzentriert und muss nicht nur das Modell für die eigentliche Dynamik, hier der Covid19-Ausbreitung, formulieren, sondern auch die Messungen nachsimulieren“, erklärt er. Daraufhin programmierte er ein einfaches makroskopisches Epidemie-Standardmodell mit auch während der Simulation änderbarer Testrate. Nach einem Probelauf mit eigenen Daten stellte er fest: „Es passt bemerkenswert gut. Deshalb beschloss ich, das öffentlich zu machen.“ Die erste Version war nach zwei Tagen lauffähig, die jetzige erforderte erheblich mehr Arbeitsaufwand.
Mit diesem Tool sollen Szenarien analysiert werden, die als bedingte Projektionen in die Zukunft aufgefasst werden können: „Wenn der Wert X zutrifft, dann wird es zum Zeitpunkt Y eine Zahl Z +/- 10% an Infizierten und eine Zahl T +/- 10% an Covid-19-Gestorbenen geben. Außerdem wird es mit der Wahrscheinlichkeit p eine zweite Welle geben".
Die Auswirkungen der Szenarien „Unverändert“, „Laisser faire“ (keine Einschränkungen, alles ist wie in Vor-Coronazeiten), „Änderung des Infektionszeitraums oder der Testverzögerung“, „Änderung der Testrate“ und/oder „zeitliche Erhöhung der Testrate“ werden mittels Schieberegler anschaulich.
Vom Start am 19. März 2020 bis zur Gegenwart ist die Situation in Deutschland dargestellt. Zudem können zwölf andere Länder (Stand 25. Juni 2020) analysiert werden. Umfangreiche Hintergrundinformationen und Erklärungen können jeweils abgerufen werden.
Dr. Martin Treiber betont die Grenzen solcher Simulationen: „Weder diese noch andere Modellierungen, wie beispielsweise die des Robert Koch-Instituts, können Prognosen abgeben.“ Dazu gäbe es zu viele Unwägbarkeiten vonseiten der Infektionsdynamik (Sind einmal Infizierte wirklich immun?), der Beobachtung (Wie viele Infizierte wurden wann wirklich erfasst?) und vor allem bei der Frage, welche zukünftigen eindämmenden Maßnahmen und Strategien verfolgt werden. Treiber erklärt: „Eine der zentralen Aspekte der Ökonometrie ist es, den Studierenden die Grenzen statistischer Analysen aufzuzeigen: Eine Zahl ohne Fehlergrenzen und Dokumentation der Annahmen ist nichts wert!“
Wie die Simulation bei den Studierenden ankam, lässt sich nur partiell beantworten. „Es gab einige Reaktionen, da hätte ich aber mehr erwartet“, gibt Dr. Martin Treiber zu. Auch aus der Politik kam noch kein Feedback bei ihm an. Das wundert ihn. „Schließlich werden ja durchaus heiße Themen angefasst …“
Simulationen wie die vorgestellte sind in vielen Bereichen der Wirtschaft sinnvoll. „Primär benötigt man für diese Art von ökonometrischen Simulationen einen Sachverhalt, dessen Dynamik sich durch ein mathematisches Modell gut beschreiben lässt“, erklärt der Forscher. Wie im Straßenverkehr. „Modellgestützte Datenanalyse wird zum Beispiel zur Navigation verwendet.“ Dr. Martin Treiber erforscht, inwieweit die Effizienz des Straßenverkehrs (maximaler Durchfluss, keine Verkehrsinstabilitäten, die zu Stop & Go-Verkehr führen) vom Fahrverhalten einzelner Fahrer bzw. dem mittleren Verhalten des Fahrerkollektivs abhängt. Die Methoden lassen sich auch auf die wachsende Durchdringung von Fahrzeugen mit Assistenzsystemen bis hin zu autonomem Fahren anwenden. Fragen wie: „Wird Verkehr effizienter, wenn es nur noch autonome Fahrzeuge gibt?“, gewinnen an Aktualität.
Ein weiteres Thema sind Life-Cycle-Assessments (Ökobilanz). Sind Elektrofahrzeuge überhaupt umweltfreundlich, wenn man bei Verbrennern und E-Fahrzeugen alles berücksichtigt, insbesondere Stromherstellung, Herstellung von Benzin/Diesel vom Bohrfeld bis zur Tankstelle, Produktion und Entsorgung des Akkus usw.?
Auch Themen im Wirkungsfeld Medizin-Politik hält Treiber für relevant. Beispiel: Ist der volkswirtschaftliche Schaden bei striktem Lockout nicht viel größer als der Nutzen in Form von gespartem Leid? Er erklärt: „Hierzu braucht man dynamische Modelle, die z. B. Arbeitsplatzverluste als Folge einer Krise abschätzen und Modelle, die Arbeitsplatzverlust in volkswirtschaftlichen und auch gesundheitlichen Schaden umrechnen.“
Die Idee kam dem seit 20 Jahren als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Wirtschaft und Verkehr Tätigen während der Lockdown-Phase, allein vor dem Computer sitzend. Der Physiker hatte schon mehrere interaktive Simulationen entworfen, unter anderem traffic-simulation.de. Auch die felsampel.de – eine datengetriebene Anwendung, die die wetterbedingte Klettereignung der Felsen im Elbsandsteingebirge schätzt – stammt von dem Freizeitkletterer. Seine Corona-Simulation ist ein Standard-Infektionsausbreitungsmodell, das auch sonst in Vorlesungen behandelt wird.
„Zur Corona-Situation hatte ich schon früh den Eindruck, dass die offiziellen Informationen nicht immer auf optimalen Methoden beruhen. Also habe ich mir die Methoden zur Schätzung des Reproduktionswertes R vom RKI und von anderen Stellen angeschaut“, berichtet der gebürtige Nürnberger. Die fand er „aus Sicht des Ökonometrikers etwas unterkomplex“. Er wollte wissen, wie der Umfang der Testungen das Ergebnis verfälschen kann. „Als Ökonometriker ist man ja datenzentriert und muss nicht nur das Modell für die eigentliche Dynamik, hier der Covid19-Ausbreitung, formulieren, sondern auch die Messungen nachsimulieren“, erklärt er. Daraufhin programmierte er ein einfaches makroskopisches Epidemie-Standardmodell mit auch während der Simulation änderbarer Testrate. Nach einem Probelauf mit eigenen Daten stellte er fest: „Es passt bemerkenswert gut. Deshalb beschloss ich, das öffentlich zu machen.“ Die erste Version war nach zwei Tagen lauffähig, die jetzige erforderte erheblich mehr Arbeitsaufwand.
Mit diesem Tool sollen Szenarien analysiert werden, die als bedingte Projektionen in die Zukunft aufgefasst werden können: „Wenn der Wert X zutrifft, dann wird es zum Zeitpunkt Y eine Zahl Z +/- 10% an Infizierten und eine Zahl T +/- 10% an Covid-19-Gestorbenen geben. Außerdem wird es mit der Wahrscheinlichkeit p eine zweite Welle geben".
Die Auswirkungen der Szenarien „Unverändert“, „Laisser faire“ (keine Einschränkungen, alles ist wie in Vor-Coronazeiten), „Änderung des Infektionszeitraums oder der Testverzögerung“, „Änderung der Testrate“ und/oder „zeitliche Erhöhung der Testrate“ werden mittels Schieberegler anschaulich.
Vom Start am 19. März 2020 bis zur Gegenwart ist die Situation in Deutschland dargestellt. Zudem können zwölf andere Länder (Stand 25. Juni 2020) analysiert werden. Umfangreiche Hintergrundinformationen und Erklärungen können jeweils abgerufen werden.
Dr. Martin Treiber betont die Grenzen solcher Simulationen: „Weder diese noch andere Modellierungen, wie beispielsweise die des Robert Koch-Instituts, können Prognosen abgeben.“ Dazu gäbe es zu viele Unwägbarkeiten vonseiten der Infektionsdynamik (Sind einmal Infizierte wirklich immun?), der Beobachtung (Wie viele Infizierte wurden wann wirklich erfasst?) und vor allem bei der Frage, welche zukünftigen eindämmenden Maßnahmen und Strategien verfolgt werden. Treiber erklärt: „Eine der zentralen Aspekte der Ökonometrie ist es, den Studierenden die Grenzen statistischer Analysen aufzuzeigen: Eine Zahl ohne Fehlergrenzen und Dokumentation der Annahmen ist nichts wert!“
Wie die Simulation bei den Studierenden ankam, lässt sich nur partiell beantworten. „Es gab einige Reaktionen, da hätte ich aber mehr erwartet“, gibt Dr. Martin Treiber zu. Auch aus der Politik kam noch kein Feedback bei ihm an. Das wundert ihn. „Schließlich werden ja durchaus heiße Themen angefasst …“
Simulationen wie die vorgestellte sind in vielen Bereichen der Wirtschaft sinnvoll. „Primär benötigt man für diese Art von ökonometrischen Simulationen einen Sachverhalt, dessen Dynamik sich durch ein mathematisches Modell gut beschreiben lässt“, erklärt der Forscher. Wie im Straßenverkehr. „Modellgestützte Datenanalyse wird zum Beispiel zur Navigation verwendet.“ Dr. Martin Treiber erforscht, inwieweit die Effizienz des Straßenverkehrs (maximaler Durchfluss, keine Verkehrsinstabilitäten, die zu Stop & Go-Verkehr führen) vom Fahrverhalten einzelner Fahrer bzw. dem mittleren Verhalten des Fahrerkollektivs abhängt. Die Methoden lassen sich auch auf die wachsende Durchdringung von Fahrzeugen mit Assistenzsystemen bis hin zu autonomem Fahren anwenden. Fragen wie: „Wird Verkehr effizienter, wenn es nur noch autonome Fahrzeuge gibt?“, gewinnen an Aktualität.
Ein weiteres Thema sind Life-Cycle-Assessments (Ökobilanz). Sind Elektrofahrzeuge überhaupt umweltfreundlich, wenn man bei Verbrennern und E-Fahrzeugen alles berücksichtigt, insbesondere Stromherstellung, Herstellung von Benzin/Diesel vom Bohrfeld bis zur Tankstelle, Produktion und Entsorgung des Akkus usw.?
Auch Themen im Wirkungsfeld Medizin-Politik hält Treiber für relevant. Beispiel: Ist der volkswirtschaftliche Schaden bei striktem Lockout nicht viel größer als der Nutzen in Form von gespartem Leid? Er erklärt: „Hierzu braucht man dynamische Modelle, die z. B. Arbeitsplatzverluste als Folge einer Krise abschätzen und Modelle, die Arbeitsplatzverlust in volkswirtschaftlichen und auch gesundheitlichen Schaden umrechnen.“