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Digitale Patenschaften statt weihnachtlicher Straßenbahnfahrt |
Vor zwölf Jahren fuhr die X-Mas Tram das erste Mal durch Dresden. An Bord ausländische Studierende und Gastwissenschaftler/innen, die Einheimische kennenlernten. Die Akteure der ursprünglich einmalig geplanten Straßenbahnfahrt gründeten 2015 einen Verein. In diesem Jahr suchten sie Weihnachtspaten. Warum sie ihre Initiative über Ländergrenzen fortsetzen.
Bert Siegel war 2008 als Mentor bei der Friedrich-Ebert-Stiftung tätig. Als Weihnachten näher rückte, kam ihm ein Gedanke: „Die Wohnheime sind leer, alle fahren nach Hause und die Ausländer sind allein. Manche kennen gar kein Weihnachten.“ Wie wäre es, Studierende mit Einheimischen in Kontakt zu bringen? So entstand die Idee einer weihnachtlichen Straßenbahnfahrt durch die sächsische Landeshauptstadt. „Das war etwas anderes, als sich in der Aula zu treffen“, blickt der heute als 360°-Fotograf tätige selbstständige Projektmanager zurück. Die Veranstaltung kam sehr gut an. Auch bei der Schirmherrin. Die damalige Wissenschaftsministerin des Freistaates Sachsen, Dr. Eva-Maria Stange, hatte die Premiere begleitet. „Das machen Sie doch nächstes Jahr wieder?“, fragte sie die Veranstaltern im Anschluss.
„Wir hatten erst mal Null Bock darauf“, gibt Bert Siegel angesichts des ehrenamtlich gestemmten organisatorischen Aufwandes zu. „Aber nach zehn Monaten Pause sah es anders aus.“ In den folgenden Jahren wurden kleine Veränderungen berücksichtigt. So gab es ab der zweiten Fahrt immer einen Zwischenstopp, beispielsweise im Straßenbahnmuseum. Als der X-Mas-Tram-„Vater“ ein Zweitstudium am Internationalen Hochschulinstitut Zittau aufnahm, hatte er zunächst selbst keine Zeit mehr für die weihnachtliche Aktion. „Doch als Pegida anfing, war klar, wir müssen etwas machen und die Arbeit auf mehr Schultern verteilen“, sagt er. 2015 gründete sich der X-Mas-Tram e.V. Aktuell gehören dem Verein zwölf Mitglieder an, viele davon haben einen Bezug zur TU Dresden. „Wir sind ein bunter Mix“, beschreibt Bert Siegel. In diesem Jahr wurde das Projekt übrigens mit dem „Preis Internationalisierung“ der TU Dresden geehrt.
Wichtig, auf Leute zuzugehen
Cordula Zwanzig ist seit Frühjahr 2019 Vereinsvorsitzende. Mit der X-Mas Tram ist sie seit 2008 verbunden. Damals studierte sie Spanisch, Englisch und Geschichte auf Lehramt an der TU Dresden. Seit 2016 arbeitet sie als Lehrerin an der Deutschen Schule in Moskau. Sie sagt: „Meine Schüler würden nie zugeben, die Schule zu vermissen. Jetzt mit Corona vermissen sie die Schule. So vermissen auch einige die X-Mas-Tram-Aktion und deshalb machen wir weiter“, erklärt sie. Ihre Motivation zieht sie auch aus eigenem Erleben: „Ich war zu einem Erasmus-Aufenthalt in Irland und kannte niemanden. Studierende stehen meist in Grüppchen zusammen. Eines Tages sprach mich ein Ire an und lud mich in die Frisbee-AG ein. Ich wollte erst nicht, aber er war hartnäckig. Letztlich war das eine sehr gute Entscheidung, denn so kam ich mit Landsleuten zusammen und habe viel gelernt. Mir ist klar geworden, wie wichtig es ist, auf Leute zuzugehen.“
Sich sehen ersetzt nichts
In diesem Jahr kann es coronabedingt weder eine Straßenbahnfahrt noch ein Fest geben. Dennoch wird der Verein Menschen verbinden. Er digitalisiert die traditionellen Weihnachtspatenschaften. In einem Online-Adventskalender wird es 24 Patenangebote geben – vom 1. bis 24. Dezember täglich eins. „Sich sehen ersetzt nichts“, meint Cordula Zwanzig. „Aber der Begriff soziale Distanz ist irreführend. Wir brauchen nur 1,5 m Abstand. Physische Distanz ist treffender.“ Erste Angebote erreichten den Verein Wochen vor Adventsbeginn. Viele richteten sich auch an mehrere Personen. Von Wandertouren, (virtuellen) Konzerten, Austausch über Bräuche bis zu Plätzchenbacken und Glühweintrinken reichte das Spektrum. „So ein offenes Angebot hatten wir in den letzten Jahren nicht“, staunte Bert Siegel.
Multitalent mit Spiel-Show-Angebot
Lilith Diringer ist 2020 zum ersten Mal X-MAS-Tram-Patin. Sie studiert an der TU Internationale Beziehungen im 3. Bachelorsemester. Das Multitalent mit akrobatischen, schauspielerischen, journalistischen und weiteren Ambitionen hat sich ein Online-Weihnachtsspiel ausgedacht. Sie hofft: „Im Idealfall wird es wieder möglich sein, sich in kleinen Teams von zwei bis vier Personen vor einen Bildschirm zu setzen und gemeinsam digital in einer größeren Runde zusammenzukommen. In den Teams werden Aufgaben gestellt, die eine Mischung aus Exit-Games, Musicalshow, Radiotalk und Mister-X-Suche darstellen.“ Beispielsweise müssen traditionelle Weihnachtslieder verschiedener Länder aufgenommen und Weihnachtswichtel aus der Transitbahn gerettet werden. Kurz vor der Siegerehrung müssen sich die Teams noch einmal direkt miteinander messen und anschließend werden die während des Quiz entstandenen Beiträge, Videos und Audiodateien geteilt und gemeinsam darüber gelacht. Der Abend soll in gemütlicher Runde mit lockeren Gesprächen über verschiedene Weihnachtstraditionen ausklingen.
Grundeinstellungen ändern sich
„Unser Ziel ist nicht, alles zu revolutionieren“, sagt Vereinsvorsitzende Cordula Zwanzig im Skype-Interview. „Wir wollen auch Dresdnern die Möglichkeit geben, Studierende oder Gastwissenschaftler/innen kennenzulernen. Aus Rückmeldungen erfahren wir oft, dass die Beteiligten von dem Patenangebot sehr angetan waren.“ Nicht immer entwickle sich eine Freundschaft fürs Leben, aber Grundeinstellungen änderten sich. „Wer keine Meinung hat, kann sich eine bilden. Es bewegt sich etwas“, ist die Pädagogin überzeugt. Und noch etwas ist ihr im Corona-Jahr wichtig: „Es ist zu kurz gedacht, nur die Wirtschaft zu retten und nicht den sozialen Zusammenhalt.“ Neue Vereinsmitglieder sind daher stets willkommen: „Je mehr wir sind, umso besser.“ Vor und nach Weihnachten.
Foto: Archiv X-Mas Tram e.V.; Straßenbahnfahrt
Bert Siegel war 2008 als Mentor bei der Friedrich-Ebert-Stiftung tätig. Als Weihnachten näher rückte, kam ihm ein Gedanke: „Die Wohnheime sind leer, alle fahren nach Hause und die Ausländer sind allein. Manche kennen gar kein Weihnachten.“ Wie wäre es, Studierende mit Einheimischen in Kontakt zu bringen? So entstand die Idee einer weihnachtlichen Straßenbahnfahrt durch die sächsische Landeshauptstadt. „Das war etwas anderes, als sich in der Aula zu treffen“, blickt der heute als 360°-Fotograf tätige selbstständige Projektmanager zurück. Die Veranstaltung kam sehr gut an. Auch bei der Schirmherrin. Die damalige Wissenschaftsministerin des Freistaates Sachsen, Dr. Eva-Maria Stange, hatte die Premiere begleitet. „Das machen Sie doch nächstes Jahr wieder?“, fragte sie die Veranstaltern im Anschluss.
Foto: Archiv X-Mas Tram e.V.; Projektleiter Bert Siegel
„Wir hatten erst mal Null Bock darauf“, gibt Bert Siegel angesichts des ehrenamtlich gestemmten organisatorischen Aufwandes zu. „Aber nach zehn Monaten Pause sah es anders aus.“ In den folgenden Jahren wurden kleine Veränderungen berücksichtigt. So gab es ab der zweiten Fahrt immer einen Zwischenstopp, beispielsweise im Straßenbahnmuseum. Als der X-Mas-Tram-„Vater“ ein Zweitstudium am Internationalen Hochschulinstitut Zittau aufnahm, hatte er zunächst selbst keine Zeit mehr für die weihnachtliche Aktion. „Doch als Pegida anfing, war klar, wir müssen etwas machen und die Arbeit auf mehr Schultern verteilen“, sagt er. 2015 gründete sich der X-Mas-Tram e.V. Aktuell gehören dem Verein zwölf Mitglieder an, viele davon haben einen Bezug zur TU Dresden. „Wir sind ein bunter Mix“, beschreibt Bert Siegel. In diesem Jahr wurde das Projekt übrigens mit dem „Preis Internationalisierung“ der TU Dresden geehrt.
Wichtig, auf Leute zuzugehen
Cordula Zwanzig ist seit Frühjahr 2019 Vereinsvorsitzende. Mit der X-Mas Tram ist sie seit 2008 verbunden. Damals studierte sie Spanisch, Englisch und Geschichte auf Lehramt an der TU Dresden. Seit 2016 arbeitet sie als Lehrerin an der Deutschen Schule in Moskau. Sie sagt: „Meine Schüler würden nie zugeben, die Schule zu vermissen. Jetzt mit Corona vermissen sie die Schule. So vermissen auch einige die X-Mas-Tram-Aktion und deshalb machen wir weiter“, erklärt sie. Ihre Motivation zieht sie auch aus eigenem Erleben: „Ich war zu einem Erasmus-Aufenthalt in Irland und kannte niemanden. Studierende stehen meist in Grüppchen zusammen. Eines Tages sprach mich ein Ire an und lud mich in die Frisbee-AG ein. Ich wollte erst nicht, aber er war hartnäckig. Letztlich war das eine sehr gute Entscheidung, denn so kam ich mit Landsleuten zusammen und habe viel gelernt. Mir ist klar geworden, wie wichtig es ist, auf Leute zuzugehen.“
Sich sehen ersetzt nichts
In diesem Jahr kann es coronabedingt weder eine Straßenbahnfahrt noch ein Fest geben. Dennoch wird der Verein Menschen verbinden. Er digitalisiert die traditionellen Weihnachtspatenschaften. In einem Online-Adventskalender wird es 24 Patenangebote geben – vom 1. bis 24. Dezember täglich eins. „Sich sehen ersetzt nichts“, meint Cordula Zwanzig. „Aber der Begriff soziale Distanz ist irreführend. Wir brauchen nur 1,5 m Abstand. Physische Distanz ist treffender.“ Erste Angebote erreichten den Verein Wochen vor Adventsbeginn. Viele richteten sich auch an mehrere Personen. Von Wandertouren, (virtuellen) Konzerten, Austausch über Bräuche bis zu Plätzchenbacken und Glühweintrinken reichte das Spektrum. „So ein offenes Angebot hatten wir in den letzten Jahren nicht“, staunte Bert Siegel.
© privat; Lilith Diringer
Lilith Diringer ist 2020 zum ersten Mal X-MAS-Tram-Patin. Sie studiert an der TU Internationale Beziehungen im 3. Bachelorsemester. Das Multitalent mit akrobatischen, schauspielerischen, journalistischen und weiteren Ambitionen hat sich ein Online-Weihnachtsspiel ausgedacht. Sie hofft: „Im Idealfall wird es wieder möglich sein, sich in kleinen Teams von zwei bis vier Personen vor einen Bildschirm zu setzen und gemeinsam digital in einer größeren Runde zusammenzukommen. In den Teams werden Aufgaben gestellt, die eine Mischung aus Exit-Games, Musicalshow, Radiotalk und Mister-X-Suche darstellen.“ Beispielsweise müssen traditionelle Weihnachtslieder verschiedener Länder aufgenommen und Weihnachtswichtel aus der Transitbahn gerettet werden. Kurz vor der Siegerehrung müssen sich die Teams noch einmal direkt miteinander messen und anschließend werden die während des Quiz entstandenen Beiträge, Videos und Audiodateien geteilt und gemeinsam darüber gelacht. Der Abend soll in gemütlicher Runde mit lockeren Gesprächen über verschiedene Weihnachtstraditionen ausklingen.
Grundeinstellungen ändern sich
„Unser Ziel ist nicht, alles zu revolutionieren“, sagt Vereinsvorsitzende Cordula Zwanzig im Skype-Interview. „Wir wollen auch Dresdnern die Möglichkeit geben, Studierende oder Gastwissenschaftler/innen kennenzulernen. Aus Rückmeldungen erfahren wir oft, dass die Beteiligten von dem Patenangebot sehr angetan waren.“ Nicht immer entwickle sich eine Freundschaft fürs Leben, aber Grundeinstellungen änderten sich. „Wer keine Meinung hat, kann sich eine bilden. Es bewegt sich etwas“, ist die Pädagogin überzeugt. Und noch etwas ist ihr im Corona-Jahr wichtig: „Es ist zu kurz gedacht, nur die Wirtschaft zu retten und nicht den sozialen Zusammenhalt.“ Neue Vereinsmitglieder sind daher stets willkommen: „Je mehr wir sind, umso besser.“ Vor und nach Weihnachten.