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Lesererzählungen

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Kulturensemble der TH und die III. Weltfestspiele
Heinz Clemens

© privat: Programmberatung mit Fritz Steiner (links)
© privat: Programmberatung mit Fritz Steiner (links)
Im Ensemble, um 1950 gegründet, wirkten in dieser Zeit vorwiegend Studenten aus der Arbeiter- und Bauernfakultät.

Der damalige Leiter des Ensembles suchte weitere Mitglieder, kam in unsere Studentenbude in der Cottbuser Straße, die mit sieben Studenten belegt war und begann mit einer stark auf Erfolg gerichteten Werbung. Rudi spielte Geige und wurde sofort für das Orchester festgelegt. Entsprechend ging es dem Akkordeonspieler Arndt und den drei anderen Zimmerbewohnern. Letztlich blieben Manfred und ich übrig. „Welches Instrument spielt Ihr?" war die Frage. „Nur Radio und etwas Mundharmonika", war unsere Antwort. „Also, ihr beide kommt in den Chor", meinte der Werber, ohne unsere Stimmen geprüft zu haben. Engagement war eben gefragt. Nach kurzer Zeit wurde unser Ensemble im Dresdner Raum bekannt und zu vielen Veranstaltungen geladen. Im Repertoire hatten wir neben deutschen Volks- und Wanderliedern auch z. B. das polnische Lied vom „Kuckuck" und selbstverständlich den „Moskwa-Walzer" sowie Stalins Lieblingslied „Suliko", das unser Solist so gut interpretierte und sich damit seinen Spitznamen „Suliko" verdiente. Außerdem mussten wir das Lied „Osten erglüht, China ist jung, rote Sonne grüßt Mao tse Tung" vortragen. Aber bei dem Lied „Auf Stalin, wer möchte nicht jubeln und singen" passten wir. Dieses fast philharmonisch intonierte Werk konnte kein normaler Laienchor beherrschen. Es wurde Gott sei Dank von den Proben abgesetzt. Das Lied von der Partei, die immer Recht hat, klappte aber gut. Es brachte uns auf einer Dresdner Parteidelegiertenkonferenz, die im Saal des FDGB-Hochhauses in der Ritzenbergstraße stattfand, viel Beifall und ein gutes Abendessen ein.

Im Frühjahr 1951 begannen überall die Vorbereitungen für die III. Weltfestspiele der Jugend und Studenten. Unser Ensemble war für ein „Landeskulturprogramm Sachsen" vorgesehen und durch wenige Studenten der Musikhochschule verstärkt. Für einige Wochen wurden wir zur Vorbereitung im Schloß Mutzschen einquartiert. Gert Bielig vom Dresdner Rundfunk leitete das Orchester, die Solotänzerin Lilo Wolf vom Staatstheater betreute die Tanzgruppe. Als künstlerischer Leiter war Fritz Steiner (der spätere Dresdener Operettendirektor) verpflichtet. Über die sonstige Organisation konnte in studentischer Selbstverwaltung durch FDJ-und Parteileitung entschieden werden. Das Mitwirken im Ensemble, besonders die Tage in Mutzschen, gehören mit zu den schönsten meiner Erinnerungen. Ich denke dabei auch an einen Abend im Schlossgarten. Bei romantischer Beleuchtung spielte ein Quartett die „Kleine Nachtmusik" von Mozart. Als junger Mann, durch Hitlerjugend und Krieg nicht mit klassischer Musik in Berührung gekommen, hat mich dieses Erlebnis für die Musik, besonders für Mozart, geöffnet. Bevor der Einsatz in Berlin heranrückte, schickte uns die Zentrale FDJ-Leitung einen Instrukteur als organisatorischen Leiter. Er drang mit vielen neuen Instruktionen, die wir gar nicht nötig hatten, in unser zusammengewachsenes Kollektiv ein und machte sich zunehmend unbeliebt. Eines Nachts erschien ihm dafür „Gespenster", die ihn in eine Hängematte wickelten und ihn mit dem Hinterteil in den Schloßteich tauchten. Das verringerte natürlich nicht die Spannungen. Für die Generalprobe des Ensembles wurde das „Bruno-Plache-Stadion" in Leipzig ausgesucht, wo am 28. 07. Gert Bielig Chor und Orchester vor 70.000 Zuschauern dirigierte. Da ich mich in Leipzig und Umgebung gut auskannte, durfte ich unseren Leiter Fritz Steiner in diesen Tagen als „Adjudant" dienen, Fritz fuhr eine Beiwagenmaschine, ich auf dem Sozius und Lilo im Beiwagen. So ging es damals durch Leipzig.

Vor unseren Berlin-Auftritten wurden wir auf Staatskosten eingekleidet – für die damalige Zeit ein großer Gewinn für jeden Akteur: ein weißes Hemd, ein gelbes Halstuch und eine schwarze Hose wie sie die Matrosen trugen, mit weiten Hosenbeinen und einer großen Klappe vor dem Bauch anstelle eines Hosenschlitzes. Neben ihrer beabsichtigten Funktion erhielt die Klappe noch eine weitere spezielle Bedeutung. Wenn unserem Chorleiter bei Auftritten die Mienen der Sänger zu ernst erschienen, rief er uns leise zu: „Klappen runter!". Sofort hellten sich alle Gesichter auf und der Chor wirkte nun lustiger.

In Berlin erlebten wir im Stadion den „Einmarsch der Nationen". Unsere Auftritte hatten wir zum Beispiel im Friedrichshain oder Tierpark. Am 12. 08 war eine Demonstration angesetzt. Singend und pfeifend ging es durch Berlin. Oft traten Stockungen ein. Das Orchester trat sofort in Aktion. Zum "Ricksdorfer" und ähnlichen wurde an der Stelle getanzt. Die neben uns marschierenden ungarischen Mädels unterbrachen ihre Rufe„ Eljen Rakoci – Pieck" und kamen in bessere Stimmung. Alle Tage in Berlin waren ein Erlebnis. Wir waren in einem Massenquartier im Zentrum untergebracht. Jeden Tag gab es einen Verpflegungsbeutel, der u. a. eine harte Wurst und Süßigkeiten enthielt – auch etwas Besonderes in dieser Zeit.

Meine Verlobte kam mit der Thüringer FDJ-Gruppe nach Berlin und fuhr nach den drei vorgesehenen Tagen nicht wieder mit zurück. Sie konnte bei meinen Eltern in Karlshorst schlafen. Wenn wir uns dort treffen wollten, musste ich beim Instrukteur um Genehmigung und Urlaub ersuchen. Ein Besuch in Westberlin war uns verboten worden. Mir machte das herzlich wenig aus; denn in anderen Zeiten konnte ich während eines Aufenthaltes bei meinen Eltern Westberlin ansehen. Es war möglich, für wenig Geld den S-Bahn-Vollring zu fahren, für Ostgeld in’s Westkino zu gehen oder in Gesundbrunnen Bananen zu kaufen. Die meisten meiner Kommilitonen kannten jedoch Westberlin noch nicht, und ein Besuch reizte trotz Verbot. Manfred spazierte mit Freunden in der Freizeit rüber. Dort wurden sie vom Instrukteur gesehen. Daraufhin drohte man ihnen mit Exmatrikulation. Der Instrukteur behauptete, im Auftrag „drüben" gewesen zu sein. Studenten-Genossen erkundigten sich bei der Zentralen FDJ-Leitung und erfuhren, daß kein Auftrag vorlag. Nun wurde der unbeliebte Leiter sofort abgezogen, das Verfahren gegen die Studenten eingestellt und unser Ensemble mit mehreren Tagen Auftrittsverbot belegt. Später normalisierte sich unser Ensemble-Leben wieder. Bei einem Spaziergang in meiner Freizeit durch Köpenick gegen Ende der Festspieltage tauchten plötzlich eine Reihe offener Lastwagen, mit FDJ-Freunden besetzt, aus Richtung Wuhlheide auf. Sprechchöre tönten: „Adenauer lädt uns ein, Westberlin wird unser sein!". Zwei Tage später erfuhr ich von Paul, der sich dazu gemeldet hatte, die Vorgänge. Die FDJ-ler wurden an der Grenze zu Westberlin abgesetzt und formierten sich zu Marschkolonnen in den Westteil der Stadt. Wahrscheinlich hatten Westberliner Bewohner vor Schreck die Polizei gerufen, die dann auch anrückte. Die Kolonnen wurden aufgelöst, die Freunde zur Feststellung ihrer Personalien über Nacht auf den Revieren festgesetzt und am Morgen wieder einzeln freigelassen. Paul war der Festnahme entgangen, da er sich schnell in einem Hausflur versteckt hatte. War dies alles so berechnet oder ein „Schuss in den Ofen"?

Wir verlebten noch schöne Tage in Berlin. Auf der Abschlusskundgebung an der Karlshorster Rennbahn hielt unser FDJ-Boss Erich Honecker eine markige Rede. In Erinnerung blieben mir von dieser Abschiedsveranstaltung aber mehr die Auftritte der verschiedenen Jugendorchester (z. B. der „Ruhlaer Springer" von den Thüringern), die für tolle Stimmung sorgten.