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Fritz Rath
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Lesererzählungen

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Fritz Raths Wanderjahre II: Westeuropa 1960
Fritz Rath

© Die Germania des Niederwald-Denkmals bei Rüdesheim (29.8.60)
© Die Germania des Niederwald-Denkmals bei Rüdesheim (29.8.60)
Nachdem die BRD-Tour 1959 gut geklappt hatte, bereitete ich meine Westeuropatour vor. Zuerst belegte ich fakultativ Italienisch und Französisch, denn Englisch konnte ich leidlich von der Oberschule. Im Frühjahr 1960 besorgte ich mir wieder vom Patenonkel Kurt die Einladung und reservierte mir bei der ARTU in Westberlin den Hinflug von Tempelhof nach Hannover für den 9.6. und den Rückflug für den 2.9.1960: Ich wollte sofort nach Pfingsten, zu Semesterferienbeginn los und möglichst lange, bis Ferienende, bleiben. Das fiel nicht auf, denn in Dresden war man der Meinung, ich wäre zu Hause, und zu Hause, ich wäre am Studienort. Meine Zeugnisse und Beleg-Testate hatte ich alle schon als Kopie im Westen deponiert, falls etwas schief gegangen wäre und ich von der TH geflogen wäre. Wieder musste, diesmal für drei Monate, die Aktentasche gepackt werden. Zwei Hosen, zwei Paar Schuhe, Jugendherbergs-Schlafinlett, Wörterbücher, etwa 30 Filme...Als Trampschuhe hatte ich mir extra für 30.- DM lederne Mokassins am Kudamm in West-Berlin gekauft.

Los geht’s
Am Mittwoch, dem 8.6. trampte ich von Mücheln zur Autobahn nach Merseburg-Günthersdorf, bis Potsdam, mit der S-Bahn nach Biesdorf zu Tante Lucie, wo ich übernachtete. Am 9.6. flogen wir ab, in der Jugendherberge in Hannover holte ich mir den Deutschen Jugendherbergs-Ausweis, das Internationale Jugendherbergs-Verzeichnis und die obligatorischen Gutscheine für 80.- DM und übernachtete. Am nächsten Tag kam ich bis Göttingen, am 11.6. bis Riehen zum Patenonkel. Hier blieb ich erst einmal einige Wochen: Um Reisegeld zu haben, musste ich erst einmal eine Arbeit suchen. In der Kreisstadt Dieburg beim Arbeitsamt meldete ich mich, aber die Vermittlung war schwierig. Mehrere Betriebe stellten mich nicht ein, weil sie meinten, dass ich ein Spion sei, wie sonst hatte ich über die Grenze kommen können? Erst nachdem mein Patenonkel für mich eine Bürgschaft abgab, fand ich vom 20.6. bis 15.7. eine Anstellung in einem Straßenbaubetrieb, im Landwirtschaftwegebau. Meine Aufgabe war es wochenlang, angefahrenen Grobschotter mit dem Hammer zu zerkleinern und als Packlage zu setzen, worauf dann Schotter oder Bitumen kam. Die Arbeit war nicht allzu schwer, aber in der Sommerhitze im Freien doch anstrengend. Die Baustelle lag etwa 5 km weg, bei Kleestadt, ich fuhr mit einem alten Fahrrad hin, das ich mir zurechtgemacht hatte. Insgesamt bekam ich ca. 308.- DM ausgezahlt. Nebenbei half ich noch dem Onkel beim Umbau einer alten Scheune und beim Einbau einer Garage. Zwischendurch besuchte ich Darmstadt, holte mir am 9.7. in Frankfurt den Internationalen Jugendherbergs-Ausweis, bestellte beim Landratsamt Dieburg meinen BRD-Reisepass, tauschte ihn gegen meinen DDR-Personalausweis um und war nun Bürger aus Dieburg. Dann machte ich mir einen Reise- und einen Finanzierungsplan und tauschte am 15.7. einige französische und Schweizer Franken, sowie österreichische Schilling und italienische Lire als Startgeld ein. Am 16.7. schloss ich noch eine Reisegepäck-Versicherung ab, und dann stand ich in Darmstadt an der Autobahn gen Süden.

Frankreich
Mit dem Patenonkel hatte ich abgesprochen, dass ich etwa wöchentlich eine Karte schicke und er dann verklauselt schriftliche Nachricht an meine Eltern weitergibt. Am ersten Tage kam ich bis über die französische Grenze, nach Straßburg zum Münster. Am 17.7. erreichte ich durch die Vogesen Besancon. Durch die französische Jura kam ich am 18.7. bei Genf in die Schweiz, am Genfer See entlang bis Lausanne und übernachtete in Orb, in der Nahe der Nestle-Werke. Am Neuburger und Bieler See entlang ging es am 19.7. nach Bern und bis Faulensee am Thuner See bei Interlaken. Hier bekam ich meinen ersten Gruß aus der Heimat: Mitten in den tiefsten Alpen erscholl abends aus dem Radio die Stimme von Walter Ulbricht, unserem Staatsratsvorsitzenden aus Ostberlin.
Am nächsten Morgen hatte ich das Glück, dass mich ein PKW mitnahm, am Brienzer See entlang, hoch zum Grimselpaß, zum Rhone-Gletscher. Er war ehemaliger Dresdener, und sein Bruder war Polizist und bewachte den Störsender in Wilsdruff, den wir kannten, weil er uns in Dresden immer den RIAS störte. Ich sollte ihm nach meiner Rückkehr schöne Grüße vom Bruder bestellen! Ich habe das dann später in Dresden getan, aber schriftlich mit einer Deckadresse.
Vom Grimselpass ging es erst runter nach Gletsch an der Rhone, und dann sah man schon oben die Abbruchkante des Rhone-Gletschers. Auf dem Gletscher waren viele Risse, aber im Gletscher hatte man ins Eis einen Gang gebohrt, man konnte also im Eis laufen, das hellblau-grüne Licht war beeindruckend...

Rhone-Gletscher
Rhone-Gletscher
(Viele Jahre später, nach der Wende, bin ich 1991 mit meiner späteren Frau Christel mit meinem 16 Jahre alten Wartburg noch einmal hoch zum Gletscher gekommen, aber mit einiger Mühe: Bei der Fahrt zum Furka-Pass wollten wir ein paar Panorama-Fotos machen und hielten auf halber Höhe an. Dabei muss wohl beim überhitzten Motor der Benzin aus dem Vergaser verdampft sein, denn der Motor sprang nicht wieder an. Nach langem Probieren gab ich es auf, rollte rückwärts im Leerlauf bis in die nächste Spitzkehre, damit ich wenden und ins Tal rollen konnte. Doch dann ein letzter Versuch, Freilauf gesperrt und gerollt, und plötzlich sprang der Motor an. In der nächsten Spitzkehre wieder gewendet und hinauf zum Gletscher. Aber dann kam die Abfahrt vom Grimsel-Pass ins Tal: der Zwei-Takt-Motor bremste nicht, und die Bremsflüssigkeit kochte bald, so dass ich vor jeder Kehre erst 10 mal durchtreten musste, ehe etwas Bremswirkung entstand. Nachdem das alles mit Glück überstanden war, aßen wir in einer Gaststätte am romantischen Kaisersee zu Abend und kamen auf die Idee, doch hier zu übernachten. Als wir jedoch die Preise sahen, sind wir lieber losgefahren, die Nacht durch ohne Vignette über die Autobahn, bis wir in unserem Quartier in Steißlingen bei Singen ankamen.)

Schweiz
Zurück zum 20.7.1960: Den Furkapaß hinunter nach Andermatt, am Gotthard-Tunnel vorbei ging es dann am Vierwaldstätter, Zuger und Züricher See vorbei nach Zürich. Am 21.7. trampte ich über Winterthur bis Sankt Gallen, weil dort mein Cousin Herbert Dipner wohnte und in einer Gärtnerei arbeitete. Herbert war der Sohn von meiner Tante Gertrud, die schon seit 1947 im Gefängnis saß, weil sie im Dritten Reich zeitweilig Aufseherin im KZ Ravensbrück war und wegen eines juristischen Fehlurteils lebenslänglich bekommen hatte. Auch deshalb war Herbert schon in den 1950er-Jahren ausgewandert. Ich hatte aber mit ihm seit meiner frühen Kindheit in Naumburg keinen Kontakt, denn als ich Säugling war, war er schon bei der Hitlerjugend. Nur ein Foto aller Cousins und Cousinen mit unseren Naumburger Großeltern hatte ich in Erinnerung.

In St. Gallen ging ich daher zur Post, suchte mir aus dem Adressbuch alle etwa 20 Gärtnereien heraus, kaufte mir Telefonmarken und begann alle Gärtner durch zu telefonieren. Etwa der 10. wusste dann, dass beim 11. ein Herbert Dipner arbeitete, und damit hatte ich die Spur und überraschte Herbert am Nachmittag am Frühbeet. Ich blieb den Tag noch in St. Gallen und sah mir noch ein Viadukt an. Herbert habe ich dann einige Jahre später wieder in Erfurt getroffen, als ich ein Cousin- und Cousinentreffen organisierte, und dann bin ich anlässlich seines 60. Geburtstages 1987 offiziell zum Verwandtenbesuch zu ihm nach Muttenz-Basel gefahren...

Am 22.7. erreichte ich am Bodensee vorbei durch Allgäu München, besuchte kurz Werner Schladebach, einen ehemaligen Zimmergenossen aus unserem Dresdner Studentenheim.

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