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Fritz Rath
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Lesererzählungen

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Wanderjahre III: Ungarn 1962
Fritz Rath

Das Jahr 1961 hatte uns in Berlin die Mauer gebracht, und damit war es nicht mehr wie in Jahren davor möglich, im Westen Urlaub zu machen. So orientierten wir uns nach Osten. Mit Erhard Jahn, einem Mitstudenten aus unserem Wohnheim in der Schandauer Straße 76 in Dresden, bereitete ich eine Tramptour nach Ungarn vor. Damals bedeutete das auch, eine Einladung vorzuweisen, damit man das Visum nach Ungarn bekam. Über Joachim Andra, einen anderen Mitstudenten, besorgten wir uns eine Anschrift am Balaton, Edl Roman, Balatonalmadi, Joszef Attila ut 9, und bekamen auch eine briefliche Einladung und - auf dieser Grundlage auch per Post - von der ungarischen Botschaft aus Berlin das Visum. Das war die Grundlage für eine sog. Reiseanlage zum Personalausweis, für eine Reise nach Ungarn durch die CSSR, ausgestellt vom Volkspolizei-Kreisamt Dresden. Außerdem holten wir uns noch den Internationalen Studentenausweis von der FDJ der TU Dresden. Da es nur begrenztes offizielles Tagesgeld fürs Ausland gab, besorgten wir uns Devisen, indem wir öfters ins Dresdner Centrum-Warenhaus gingen, wo die tschechischen und ungarischen Touristen zu finden waren. Mit denen tauschten wir „schwarz".

© Archiv TUD
© Archiv TUD
Mit einer internationalen Fahrkarte von Dresden über Prag und Budapest bis Keszthely am Balaton und zurück (für ca. 30.- Mark) starteten wir am 18.7. bis Prag. Hier folgte bei regnerischem Wetter eine Stadtbesichtigung, zur Karlsbrücke an der Moldau, zum Hradschin und zum Wenzelsplatz. Am Abend ging die Fahrt weiter, über Brünn (= Brno) entlang der österreichischen Grenze und Preßburg (= Bratislava) kamen wir am 19.7. in Budapest an. Nach zwei Jahren war ich nun wieder an der Donau, diesmal auf der anderen Seite des „Eisernen Vorhanges". Nach einem Stadtbummel zur Kettenbrücke fuhren wir am Abend weiter nach Balatonalmadi, kamen am Morgen des 20.7. dort an und bezogen Quartier bei Familie Edl. Er war ein echter Ungar, etwa 40 bis 50 Jahre alt, sie hatten drei Mädchen und räumten für uns ihr Schlafzimmer, um etwas Pensionsgeld dazu zu verdienen. Wir bekamen so etwas wie Halbpension, morgens Frühstück, abends warmes Essen - denn tagsüber waren wir meist im Schwimmbad des Balaton. Wir blieben hier bis 6.8 - wie „gebucht".

Die erste Nacht brachte uns schon eine neue Erfahrung: Flöhe = bolha. Eigenartigerweise fielen sie aber nur über Erhard her. Bald hatten wir die Fangtechnik raus: Eine Schüssel voll Wasser, darüber alle Sachen ausschütteln. Dann nackig am Fußboden umherlaufen, damit die letzten Flöhe noch vom Fußboden an die Beine sprangen. Dann in die Schüssel gestellt und die Flöhe abgelesen oder ins Wasser geschüttelt, dass sie nicht wegspringen konnten. In dieser Zeit lernten wir fleißig mit dem Szotar, dem Wörterbuch, ungarische Redewendungen und Vokabeln, außerdem hatten wir im Bad viele Bekanntschaften, mit denen wir ihre Sprache übten. Zwischenzeitlich machten wir am 25.7. mit dem öffentlichen Bus einen Ausflug nach Veszprem, der alten Königstadt, sowie am 28.7 einen ersten Trampversuch nach Tihany, der Halbinsel am Balaton mit der Kirche. Wir hatten wieder einen Regentag erwischt, abends mußten wir zwei Stunden von Tihany nach Balatonfüred laufen, von dort nahmen wir den Nachtbus zurück.

In Balatonalmadi lernten wir Nationalspeisen kennen, wie Halaszle = Fischsuppe, Pörkölt = Schweinegulasch, Letscho, Langos, es gab aber auch Pilsner Urquell (etwas warm) und Tokajer Furmint (einen lieblichen Weißwein). Wenn wir aßen, verlangten wir immer „sok kenyer = viel Brot". Im Arany Hid (= Goldene Brücke) gab es täglich Tanz, und Roman wollte uns immer dazu bewegen, mit Nachbars Mädchen dort zu tanzen - „einmal muss man...". Aber wir drückten uns davor. Im Bad lernten wir auch Eva kennen, eine Oberschülerin aus Budapest, mit der wir uns dann für später bei der Rückreise verabredeten. Bei Familie Edl erlebten wir auch einen Abend mit „Liebesmahl" - Pörkölt - für den Hausherren gegen 22 Uhr. Zum Abschied waren wir mit ihnen noch am letzten Abend in der „Csarda", wo der Zigan auf dem Zimbal spielte und scharfe Gulyas (= Gulasch) serviert wurde.

Am 6.8. begannen wir dann unsere Rundreise durch Ungarn. Zuerst kamen wir bis Badacsony, wo wir bei „Ziganmusik" aßen, anschließend fuhren wir in die Grotte nach Tapolca und am Abend waren wir in Keszthely auf dem Zeltplatz. Am 7.8. besuchten wir das Balaton-Museum und das Thermalbad Heviz, wo man in einem Schwefelwassersee zwischen Seerosen schwimmt. Am 8.8. verließen wir Keszthely und trampten zum Ostufer des Plattensees, sahen den ersten Puszta-Brunnen und zelteten am Ufer in Balatonboglar. Hier wollten wir abends noch einen Besuch bei Anna Strauss, einer Bekannten, machen. Aber sie war tanzen in Balatonlelle im Vörös Csillag (= Roter Stern). Also haben wir diesen gesucht und auch gefunden. Am 9.8. waren wir bei Zahnarzt Strauss geladen, mit ihm und seinen beiden schönen Töchtern machten wir einen Ausflug zur Csillagvar (= Sternburg).

Am 10.8. verließen wir dann den Balaton in Richtung Süden, kamen aber über Kaposvar nur bis Boldogasszonyfa. Mit dem Zelt war das im Sommer kein Problem. Erhard schwärmte immer aus und suchte einen geeigneten Zeltstandort, und meist zelteten wir wild. Am Morgen des 11.8. nahm uns dann gleich ein LKW mit bis Szigetvar. Hier lieferte Zrinyi dem türkischen Sultan Soliman II 1566 eine heroische Schlacht und verlor. Er fiel und Ungarn wurde über 150 Jahre besetzt. In dieser Zeit entstanden die zahlreichen Minarette und Moscheen. Wir besichtigten die Burgausgrabungen, dann nahm uns der Laster weiter bis Barcs an der Drau, der Grenze zu Jugoslawien mit. Hier badeten wir „unter Aufsicht" direkt im Grenzfluss Drau, wanderten auch zur Grenzbrücke über die Drau, nahmen dann den Zug und fuhren zurück nach Szigetvar. Dort bekamen wir im Garten von Frau „Professor" (= Lehrerin) Quartier, es gab „Hinkel" und abends wurden wir zu Eis und Tanz geladen. Überhaupt mussten wir feststellen, dass wir 1962 zu einer Zeit in Ungarn waren, in der das Land noch nicht überlaufen war, so dass in Gastfreundschaft noch voll gegeben wurde. Wir wurden immer weiter „durchgereicht", beköstigt und bewirtet. Am 12.8. wurden wir geweckt: „Junge Burschen aufstehen" und waren bei Zahnarzt Dr. Nagy Gyula in Szigetvar zum Mokka eingeladen. Erhard befreundete sich hier mit Klari, Szabo Klara. Dieses schöne Mädchen war hier zu Besuch und lud uns für später nach Mariagyüd und Villany ein. Am Mittag ging’s dann weiter mit dem Zug nach Szentlörinc. Das war eine Zigeunergegend. Wir bekamen Kontakt, tauschten Adressen aus; allerdings war ein Ergebnis, dass ich später zu Hause Briefe mit der Bitte um einige gebrauchte Kleidungsstücke bekam. Im Ort war gerade Erntefest. Es wurde getrunken, musiziert und eine Zigeunerin von den Einheimischen zu zweifelhaften Fotos überredet, dann zogen wir weiter. Unterwegs drückte das viele Bier, und an einem idyllischen Weinhaus wurde erst mal „Luft" geschaffen. Erleichtert zogen wir weiter, an einem Maisfeld entlang, und scherzten, dass der Bauer ein kilometerlanges "Kukorica"-Feld angelegt hatte. Und tatsächlich war es ca. 6 km lang. In der Dämmerung kamen wir in Helesfa an und schlugen unser Zelt auf.

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