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Hjong Bä und die Kartoffelernte

Heinrich Oppermann

Der Kartoffelrodesonderzug fuhr 1956 nach Norden und streute die Studenten der ersten drei Studienjahre der TH Dresden in die Dörfer um Güstrow. Wir vom zweiten Studienjahr der Chemie wurden Neu Kassow zugeteilt und mit einem Schlepper und dem Vorsitzenden der LPG von der Bahn abgeholt.

Am Sonntag machte Neu Kassow einen verlorenen Eindruck. Die wenigen Häuser um den ehemaligen Gutshof, den Sitz der LPG, strahlten wenig Leben aus. Das Zentrum ist das Hauptgebäude der Genossenschaft, wo auch unsere Gruppe untergebracht war. Es war ein herrlicher Herbsttag. Wir waren die ganze Nacht gefahren und kamen am Vormittag im Dorfe an. Wir wanderten durch die Fluren und genossen die ländliche Sonntagsstille. Am späten Nachmittag veranstalteten wir ein kleines Fußballspiel. Koreaner und ihre Betreuer gegen die Chinesen und Vietnamesen mit deren Betreuern. Ausländer gegen unsere Jungs wäre körperlich zu einseitig ausgefallen. Der Vorsitzende pfiff und einige, dann immer mehr Dörfler schauten zu. Von unseren Kommilitonen aus dem fernen Osten war Hjong Bä der technisch gewandteste Spieler und eine sportliche Erscheinung. Er hat zu Hause in Phön Jang in einer Jugendmannschaft gespielt. Überhaupt war er der Aufgeweckteste unter unseren Ausländern und oft ihr Sprecher.

Am nächsten Tag, als der Traktorist eine Rauchpause einlegte, ließ Hjong Bä seinen Korb auf dem Acker stehen, setzte sich auf den Traktor und warf die Zeilen weiter auf. Der Vorsitzende wollte ihn stoppen, als er aber sah, dass er die Technik voll beherrschte, ließ er ihn kopfschüttelnd gewähren. Bä war schon am Morgen mit dem Traktoristen eine Runde gefahren. Die Arbeit ging zügig voran, Schlepper um Schlepper rollte vom Feld und brachte die geborgenen Knollen zum Hof der Genossenschaft. Hjong Bä kutschierte die bunte Helferschar bei untergehender Sonne mit verschmitzten Augen ins Dorf zurück.

© privat: Hjong Bä (m.) war nicht mehr von der Frau des LPG-Vorsitzenden zu trennen ...
© privat: Hjong Bä (m.) war nicht mehr von der Frau des LPG-Vorsitzenden zu trennen ...
Tags darauf setzte leichter Regen ein. Es nieselte ununterbrochen. Wir Studenten waren mit dem Traktoristen allein auf dem Feld und unterbrachen vorzeitig unsere Arbeit, als der Acker zu glitschig wurde. Im Konsum im Eck des Gutshofes kauften wir uns eine Flasche Klaren, um uns aufzuwärmen. In der Gaststube gesellte sich der Baumeister des Dorfes, ein ergrauter Bauingenieur, zu uns, der den Rinderstall der LPG neu baute. Er spendierte uns eine weitere Runde. Hjong Bä war der einzige unter unseren ausländischen Kommilitonen, der Alkohol trank. Die meisten von ihnen tranken Tee mit Zitrone und waren dennoch froher Laune, als Christian nach dem Abendessen zur Gitarre griff. Die Grundlage der allgemeinen Fröhlichkeit bildete eine weitere Runde des Baumeisters, der sich in seine Studentenzeit zurückversetzt fühlte. Schließlich spendierte auch der Vorsitzende eine Flasche aus dem Repräsentationsfonds und seine Frau schenkte allen gleichmäßig ein. Hjong Bä trank hastig und reichte ihr sein leeres Glas erneut. Eine frohe Gesangesrunde wogte um den Tisch. Unsere vietnamesischen, chinesischen und koreanischen Freunde hüpften mit uns Alkoholisierten und ergötzten sich an unseren Tollheiten und frechen Liedern.

Hjong Bä attackierte die Frau des Vorsitzenden und wurde immer zudringlicher. Ihr machte es zunächst Spaß, mit zunehmendem Alkoholpegel fand sie ihn aber doch zu dreist und versuchte ihn abzuwehren, ohne ihn zu verletzen. Ihr Mann schaute dem Treiben ruhig zu und heizte die Stimmung weiter an. Hjong Bä sah in seinem Nebel keine Grenzen mehr und drang weiter vor. Ihr wurde die Situation peinlich und sie erbat unser Einschreiten. Unser zweiter Koreaner in der Gruppe, Bjong Gol, sprach auf Bä ein und wollte ihn sachte abdrängen, wurde aber mit kräftigem Stoß in die Ecke geschleudert. Nachdem der Vorsitzende im Kampf um seine Frau ebenfalls hart landete, wurde ich von der Gruppe der Ausländer als Mediator vorgeschickt. Hjong Bä war aber mit friedlichen Mitteln nicht von der Frau zu trennen. Er wehrte sich und schlug um sich. Unser Handgemenge wurde von der Gruppe umringt und in die Ofenecke abgedrängt. Als Hjong Bä weich in die Knie ging, spielte Christian, der auf dem Ofen saß, mit der Gitarre den Marsch des Toreros. Wir trugen ihn zusammen mit Bjong Gol im Geleit der Gruppe und mit Gitarrentakt aufs Zimmer, wo wir ihn auch weich betteten. Doch er hatte nach herben koreanischen Takten Bjong Gols eine harte und aufgewühlte Nacht.

Als am nächsten Tag die Gruppe frostig vom Acker kam, unser Held hatte Schongang mit Eimern, empfing uns Bä aufgeräumt, mit einem roten Tuch winkend, aus dem er eine Flasche wickelte, mit den Worten: „Auf in den Kampf, Freunde!“