diesen Artikel: drucken

Prorektor Turski

Dr. habil. Eberhard Schröder

Foto: privat
Foto: privat
Das Buch „Mit dem Motorrad durch den Zeunerbau“ hat mir eine sehr große Freude bereitet. Die Erinnerungen ehemaliger TU-Studenten boten mir eine besinnliche und zugleich auch belustigende Lektüre. Man musste wirklich ein Lebenskünstler sein, um mit allen Widrigkeiten fertig zu werden, die vor allem durch das uns auferlegte politische System bedingt waren. Man staunt, wie sich die Einzelnen durch das Leben gefitzt haben und am Ende doch etwas Brauchbares herausgekommen ist.

Der Gewerbelehrer und Prorektor Werner Turski, ein Nutznießer des Systems, wird ja hinreichend durchleuchtet. Über diesen Polit-Funktionär kann ich noch eine nette „Story“ beitragen.

Ich begegnete diesem Mann erstmals Ende Oktober 1944 in Zittau in einem als Lazarett umfunktionierten Tanzsaal. Nachdem ich am 15. Oktober an der Ostfront (Ducla-Paß) durch einen Steckschuß im rechten Unterarm verwundet worden war, landete ich schließlich in diesem provisorischen Lazarett. Es dauerte nicht lange, und wir wurden von einem Politoffizier (Rang eines Leutnants) ideologisch auf Vordermann gebracht. Dieser Leutnant war im November 1944 noch fest überzeugt vom deutschen Endsieg. In einer Schulung faselte er noch von Rommels Heldentaten, als dieser schon längst in Ungnade gefallen war.

Dann schaltet dieser Politologe auf Ideologie um und fragte nach dem Parteiprogramm der NSDAP. Ich nahm meine Schulkenntnisse zusammen und meldete mich schließlich zu Wort. Das Originalprogramm stammt von einem gewissen Gottfried Feder. Die Grundthesen lauteten: „Gemeinnutz geht vor Eigennutz“ und „Brechung der Zinsknechtschaft“.

Damit hatte ich einen Volltreffer gelandet. Meine Antwort löste im Gesicht des Politologen ein befriedigtes Lächeln aus. Offenbar hatte er mit dieser Antwort aus dem Munde eines einfachen Landsers nicht gerechnet. Hier war er nun in seinem Element und schwelgte in seinen Vorstellungen von einer gerechten Verteilung der Güter der Welt. Nur die bösen Feinde hinderten uns an einer Realisierung dieser zutiefst humanen Ideen.

Vor dem gleichen Mann saß ich am 21. Mai 1953 im Prorektorat für Studentenangelegenheiten und musste mich seinen Fragen wegen meiner Nichtzugehörigkeit zur FDJ stellen. Seine scharfen Drohungen und Vorwürfe gegen mich wechselten schnell in einen verbindlichen Ton, nachdem ich ihm kurz einiges aus meinem Werdegang berichtet hatte. Mit jovialem Lächeln bemerkte er schließlich: „Verstehe, verstehe, sechs Jahre Weltgeschichte mitgemacht. Aber wenn Sie sich trotzdem noch jung genug fühlen, können Sie jederzeit gern in den Jugendverband aufgenommen werden. Ich verstehe nicht, dass Sie Ihr FDJ-Sekretär daraufhin nicht angesprochen hat.“ Möglicherweise erinnerte sich der Herr Prorektor an mich und meine schlaue Antwort, die ich im November 1944 in Zittau auf seine Frage gegeben hatte. Vielleicht kam ihm damals auch der Gedanke: „Dieser Mann könnte mir schaden.“

Jedenfalls verabschiedeten wir uns in freundlichem Ton, wenn es mir auch schwer fiel, Herrn Turski die Hand zu geben. Die auf Seite 52 im o.g. Buch abgebildete Postkarte vom Prorektorat habe ich noch in meinem persönlichen Archiv. Von Zittau kam ich nach Ausheilung meiner Wunde nicht an die Ostfront, sondern zu einer Truppe im Brückenkopf von Colmar. Bei Aufgabe dieses linksrheinischen Brückenkopfes erlitt ich dann meine vierte Kriegsverwundung am 2. Februar 1945. An der Ostfront wäre ich zu dieser Zeit wohl kaum so gnädig davongekommen.